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Liste jugendgefährdender Telemedien bleibt geheim

Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 4. Juli 2013 (Az.: 13 K 7107/11):

Es besteht kein Zugangsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz auf die Liste jugendgefährdender Medien (Teile C und D), weil mit Veröffentlichung eine konkrete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch Verletzung der Unversehrtheit der Rechtsordnung droht.

Update: Es berichten die geschätzten Kollegen Kompa und Stadler sowie LTO.

Update 2: Urteil in der Rechtsprechungsdatenbank Nordrhein-Westfalen

Nekrolesbische Lustverherrlichung

Die Bundesprüfstelle hat die CD „Evangelivm Nekromantia“ von „Antropomorphia“ in die Liste jugendgefährdender Medien eingetragen (Pr.1143/12). Mehrere Titel sollen „unsittlich“ sein, weil „sexuelle Handlungen an bzw. mit Leichen (= Nekrophilie) befürwortend beschrieben und damit als nachahmenswert präsentiert werden.“ Beispielsweise in dem Song „Debauchery in putrefaction“:
Debauchery in putrefaction, self indulgent sexual acts,
Postmortal display of affection, necrolesbian lust.

Bushido, der Sittengefährder

Was Bushido von sich gibt, das darf „nicht für bare Münze genommen werden“, stellte das Landgericht Berlin im August 2012 fest. Auf Grundlage dieser sehr vernünftigen Überlegung wurde eine Schmerzensgeldforderung wegen Beleidigung von 100.000 Euro auf 8.000 Euro reduziert. Weniger glimpflich kam der Rapper im Jahr 2005 davon, als die Bundesprüfstelle zwei seiner Alben auf die Liste jugendgefährdender Medien setzte. In der Indizierungsentscheidung zu Vom Bordstein bis zur Skyline wird festgestellt, dass seine Musik geeignet sei Jugendliche „sittlich zu gefährden“ (Entscheidung Nr. 5312 vom 1. November 2005). Auch das Album Electro Ghetto gilt wegen des Titels „Gangbang“ als „grenzwertig pornographisch“ (Entscheidung Nr. 5358 vom 1. Dezember 2005). In der Begründung heißt es:

Das Lied „Gangbang“ enthält insbesondere im Refrain Schilderungen sexueller Handlungen, die das 12er-Gremium als grenzwertig pornographisch, zumindest aber als sexualethisch desorientierend einstuft. Mit derben Ausdrücken („Ein Schwanz in den Arsch, ein Schwanz in den Mund / Ein Schwanz in die Fotze, jetzt wird richtig gebumst“) wird dort Gruppensex in Form eines so genannten „Gangbangs“ beschrieben, also die Mehrfachpenetration einer Frau durch eine größere Gruppe von Männern. Das Wort „Gangbang“ stammt aus dem Englischen, von gang („Gruppe“) und bang (ugs. für „koitieren“), und wurde zunächst ausschließlich als Beschreibung einer Gruppenvergewaltigung verwendet. Heute kann dieses Wort auch als Bezeichnung für eine freiwillige Mehrfachpenetration dienen (www.wikipedia.org).

Google.de zensiert Search.xxx

Search.xxx ist eine Suchmaschine, die Websites unter der neuen .xxx-Top-Level-Domain findet. Solche Websites können pornografisch sein, aber sind es überwiegend nicht.

Jetzt hat Google die Suchmaschine Search.xxx aus seiner Trefferliste verbannt. Hintergrund ist eine freiwillige Vereinbarung mit der Bundesprüfstelle, die am 29. Januar 2013 beschloss Search.xxx in die Liste jugendgefährdender Medien einzutragen und gemäß Vereinbarung müssen solche Websites bei Google verschwinden. Selbstzensur einer Suchmaschine.

Aber mit einem einfachen Trick lassen sich alle Suchergebnisse von Search.xxx noch finden und zwar unter site:.xxx bei Google. Muss nun auch Google auf die Liste jugendgefährdender Medien? Vermutlich wird diese Frage zu juristischen Diskussionen führen.

Im Übrigen droht bei Verlinkung auf Search.xxx ein Bußgeld von bis zu 500.000 Euro (§ 4 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 JMStV iVm § 24 Absatz 1 Nummer 3 und Absatz 3 JMStV).

Google und Zensur

Diese Woche beschwerte sich Google gar bitterlich über staatliche Zensur. Mehr und mehr so genannter Government Requests treffen bei dem Suchmaschinenanbieter ein. Im hauseigenen Blog wurde Klartext geredet:

It’s alarming not only because free expression is at risk, but because some of these requests come from countries you might not suspect – Western democracies not typically associated with censorship.

Tatsächlich liefert der aktuelle Transparency Report beunruhigendes Datenmaterial für das zweite Halbjahr 2011. Mit über 400 neuen behördlichen Löschungswünschen landet Deutschland im weltweiten Vergleich auf Platz drei und ist europaweit führend.

Welche deutsche Behörde legt hier vor? Ganz überwiegend die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Aufgrund eines Memorandum of Understanding wird die ständig wachsende Indizierungsliste an die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) weitergegeben. In der FSM sitzt Google nicht nur im Vorstand, sondern hat sich auch einem Verhaltenskodex unterworfen, der eine Sperrung von indizierten Internetseiten vorsieht. Ergebnis: Mit dieser Verknüpfung freiwilliger Vereinbarungen wird die angeprangerte staatliche Zensur zur googligen Selbstzensur.

American Psycho

Als 1991 der Roman American Psycho erschien, wurde die Bundesprüfstelle umgehend tätig und indizierte das Werk vier Jahre später, wegen „sittlicher Gefährdung“ von Jugendlichen. Dem wollte das Verwaltungsgericht Köln nicht folgen und hob die Indizierung wieder auf (Az.: 17 K 1394/95). Dieses Urteil wurde 2001 in der Berufung vom OVG NRW bestätigt (Az.: 20 A 3635/98). Beide Gerichte bemängelten verengte „Stellenlektüre“ durch die Bundesprüfstelle, statt einer „notwendigen Gesamtwertung des Romans“. Zudem fehle eine Abwägung mit der Kunstfreiheit.

Sklavenzentrale

Seit 15 Jahren werden Internetangebote von der Bundesprüfstelle auf die Liste jugendgefährdender Medien gesetzt. Wurden die Indizierungen anfangs noch im Bundesanzeiger publiziert, so erfolgen diese Verfahren nun heimlich, still und leise. Bedingt durch die Nichtöffentlichkeit besteht die Gefahr, dass es zu eigentümlichen Entscheidungen kommt. Aktuelles Beispiel ist die Website Sklavenzentrale (Pr.1054/11). Bei der Begründung ist die Bundesprüfstelle sehr schludrig mit Textbausteinen umgegangen. Auf den Seiten 7 und 8 finden sich doppelte Ausführungen zur Offensichtlichkeit der Jugendgefährdung sowie zum Kunstvorbehalt. Darüberhinaus besteht eine widersprüchliche Wertung zur Pornografie, denn in der Entscheidung wird auf den Seiten 3 und 9 ausgeführt:

Zunächst einmal hat das 3er Gremium festgestellt, dass es den Inhalt des Internetangebots nicht als pornographisch einstuft…

…Das Internet-Angebot ist zwar pornographisch, verstößt jedoch nach Einschätzung des Gremiums nicht gegen § 184 a, § 184 b oder § 184 c StGB, da es keine Abbildungen so genannter „harter Pornographie“ enthält.

Aus der Indizierung ergeben sich nun rechtliche und tatsächliche Beschränkungen. Einerseits darf die Website nicht mehr verlinkt und beworben werden, wie § 4 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und § 6 Absatz 1 Satz 1 JMStV vorschreiben. Andererseits ist die Website aus allen deutschen Suchmaschinen verbannt, auch für Erwachsene.

Heimlich, still und leise

Deutsche Suchmaschinen sperren mehr als 2.500 Websites, welche von der Bundesprüfstelle (BPjM) indiziert wurden. Beispielsweise YouPorn, XHamster, PornHub, XVideos und RedTube, alle in den Alexa Top 100 Germany. Diese Internetseiten sind zwischen 2007 und 2010 in die Liste jugendgefährdender Medien eingetragen worden, im vereinfachten Verfahren vor dem 3er-Gremium. Bemerkenswert ist, dass solche Listeneinträge seit 2003 nicht mehr veröffentlicht werden.

Allerdings erhält die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM)  Mitteilungen über die Indizierungen. In der FSM haben sich sechs Mitglieder dem Verhaltenssubkodex für Suchmaschinenanbieter (VK-S) unterworfen. Dieser schreibt in § 2 Nr.5b vor, dass die Anbieter „jede URL entfernen bzw. nicht anzeigen, die durch die BPjM indiziert worden ist“. Dementsprechend sind 2.637 Websites in ask.de, bing.de, google.de, suchen.de und yahoo.de gesperrt.

Bleibt noch die Frage zu klären, ob BPjM und FSM berechtigt sind die Liste indizierter Websites weiterzugeben und ob die Suchmaschinenanbieter diese Liste für Sperrungen verwenden dürfen? Dazu enthält § 24 Abs.5 JuSchG die folgende Regelung:

Wird ein Telemedium in die Liste jugendgefährdender Medien aufgenommen und ist die Tat im Ausland begangen worden, so soll die oder der Vorsitzende dies den im Bereich der Telemedien anerkannten Einrichtungen der Selbstkontrolle zum Zweck der Aufnahme in nutzerautonome Filterprogramme mitteilen. Die Mitteilung darf nur zum Zweck der Aufnahme in nutzerautonome Filterprogramme verwandt werden.

Da es sich bei Suchmaschinen nicht um „nutzerautonome Filterprogramme“ handelt, sind Mitteilung und Verwendung der Liste jugendgefährdender Medien für Suchmaschinen unzulässig. Der Verstoss kann mit einem Bußgeld bis zu 50.000 Euro bestraft werden.

 

Deine Mutter

Der deutsche Rapper Haftbefehl entging am vergangenen Donnerstag nur knapp einer Indizierung seines Albums „Azzlack Stereotyp“ durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Diese hatte auf Anregung des bayerischen LKA ein Verfahren eingeleitet, jedoch nach Prüfung im sogenannten 12er-Gremium keine unsittliche oder verrohende Wirkung der Musik feststellen können. Die Songs von Haftbefehl drehen sich um das Straßenleben mit Frauen, Drogen und Gewalt. Ein hübscher Zweizeiler findet sich in dem Titel „Cho“:

Weil ich deine Mutter fick,
Bist du lange nicht mein Kind.

Wobei diese Beleidigung derart übertrieben ausfällt, dass eine Herabsetzung der Mutter sich dadurch abschwächt und ins Absurde verkehrt wird. Im Übrigen wurzelt das Phänomen der Deine-Mutter-Sprüche in der afroamerikanischen Jugendkultur und wurde bereits in den 1960er Jahren beschrieben.

Das Magazin „Hustler“ verwertete 1983 die Konstellation des Deine-Mutter-Witzes in einem vorgeblichen Interview mit Fernsehprediger Jerry Falwell und behauptete, er habe sein „Erstes Mal“ mit seiner Mutter besoffen auf dem Plumpsklo erlebt. Falwell verklagte den Herausgeber Larry Flynt, unterlag aber vor dem Supreme Court, weil die Fiktion offensichtlich und die Satire von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Den Gerichtsprozess schildert Miloš Forman in The People vs. Larry Flynt, wofür ihm 1997 der Goldene Bär von den Berliner Filmfestspielen verliehen wurde.

Feuchte Schoßgebete

Auf Feuchtgebiete folgen Schoßgebete – im Sommer kommt der zweite Roman von Charlotte Roche. Wieder wird es intim. Bereits das Erstlingswerk der Autorin war vom Verlag Kiepenheuer & Witsch wegen „Pornografieverdacht“ abgelehnt worden. Nicht so streng sah es damals die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Diese führte zwar ein Indizierungsverfahren gegen das Buch, aber kam zu dem Ergebnis, dass keine „Unsittlichkeit“ vorliegt. Dabei stützte sie sich auf eine Stellungnahme der Kommission für Jugendmedienschutz. In dieser heißt es: „Die Sprache ist explizit, aber relativ nüchtern, also nicht voyeuristischer Art. Grob-anreißerischer und derb-zotiger Wortschatz in Bezug auf sexuelle Handlungen wird nicht genutzt.“