Schlagwort-Archive: Urteil

Im Kampf für die Kunstfreiheit

Die Kunstfreiheit wird in Artikel 5 Absatz 3 Grundgesetz vorbehaltlos gewährleistet. Im Gegensatz zu Presse- und Meinungsfreiheit findet keine ausdrückliche Beschränkung durch allgemeine Gesetze oder den Jugendschutz statt. Vielmehr muss in jedem Einzelfall eine Grundrechtsabwägung mit anderen Schutzgütern erfolgen. Soweit die Theorie.

Im vergangenen Jahr geriet das Kunstportal Erotisches zur Nacht ins Visier der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb). Diese Landesmedienanstalt, die zusammen mit der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) das Internet beaufsichtigt, untersagte eine weitere Verbreitung der Website, mit Androhung von Zwangsgeldern in vierstelliger Höhe bei Zuwiderhandlung. Der konkrete Vorwurf der Jugendschützer lautete, dass Texte verbreitet würden,

die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen.

Darüberhinaus wurden drei Bußgeldbescheide erlassen, über deren Rechtmäßigkeit das Amtsgericht Tiergarten zu entscheiden hatte. Ganz offensichtlich war der zuständige Richter erstmals mit Kunst und Jugendschutz konfrontiert, denn auf meine Ausführungen zur eingeschränkten Anwendbarkeit des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages bei angemessener Abwägung mit der Kunstfreiheit, fiel seine Reaktion sehr knapp aus (Urteil vom 2. Dezember 2010, Az.: 339 OWi 1032/10):

Das erkennende Gericht teilt diese Auffassung nicht, denn das würde im Ergebnis dazu führen, dass der Betroffene als Künstler in einem „rechtsfreien Raum“ leben würde.

Mit dieser dürftigen Begründung zeigte sich das Kammergericht Berlin nicht zufrieden und hob das Urteil wieder auf (Beschluss vom 31. Januar 2011, Az.: 2 Ss 15/11), weil…

…der Senat nicht einmal ansatzweise in der Lage ist zu überprüfen, ob das Tatgericht die gebotene Grundrechtsabwägung vorgenommen hat.

Nun wird am 10. März 2011 vor dem Amtsgericht Tiergarten erneut für die Kunstfreiheit gekämpft. Aus Solidarität mit „Erotisches zur Nacht“ findet am Dienstag, 8. März 2011, eine Lesung statt. Dargeboten werden verbotene Texte des Kunstportals, unter anderem von Henryk M. Broder.

Porn Art Director

Das Arbeitsgericht Frankurt a.M. hat entschieden, dass der „Art Director“ einer Werbeagentur aus wichtigem Grund fristlos gekündigt werden kann, wenn er während der Arbeitszeit pornografische Internetseiten besucht. Der Gekündigte darf sich nicht darauf berufen, dass von ihm in seiner Position verlangt werde, kreativ zu sein und er hierzu Pornografie betrachten muss, um provozierende Werbung zu gestalten. Die Tätigkeit sei insbesondere kein „Freifahrtschein“, sich alle Seiten im Internet anzusehen und Videos herunterzuladen und dies mit dem Sammeln von „Werbeideen“ zu rechtfertigen.

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Die nackte Oberbürgermeisterin

Der für Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuständige 4.Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden hat am 16. April 2010 den Antrag der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgewiesen.

Zum Sachverhalt:

Die Verfügungsbeklagte hatte im Internet ein Gemälde mit dem Titel „Frau Orosz wirbt für das Welterbe“ veröffentlicht, auf dem die Oberbürgermeisterin nackt – lediglich mit rosafarbenen Strapsen und Strapshaltern sowie einer Bürgermeisterkette „bekleidet“ – zu sehen war. Im Zusammenhang mit dem Tag des offenen Ateliers in Dresden wurde das Gemälde – neben anderen Bildern der Künstlerin –  am 15. November 2009 in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht. Nachdem die Malerin die Aufforderung auf Abgabe einer Unterlassungserklärung in Bezug auf die künftige Veröffentlichung und sonstige Verbreitung des Bildes abgelehnt hatte, stellte Oberbürgermeisterin Orosz Antrag auf Erlass einer  Einstweiligen Verfügung. Das Originalgemälde ist zwischenzeitlich verkauft.

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Liebe, gleichgeschlechtlich und weihnachtlich

Aus der vorzüglichen Entscheidungssammlung des Richters Ballmann möchte ich heute zwei Urteile zitieren. Letzteres auch passend zur Weihnachtszeit.

Ein minderjähriges Mädchen kann dem gleichgeschlechtlichen Liebeswerben der – nach deren eigenen Angaben – 1958 geborenen älteren Beteiligten zu 2. nicht einfach überlassen werden.

Gleichgeschlechtlichkeit ist – je nach ihrer Ausprägung – vielfach eine menschliche Fehlentwicklung, die für den von ihr Betroffenen auf seinem ferneren Lebensweg großen Kummer und große Erschwernisse mit sich bringen kann – z.B. wenn er seine eigene subjektive Unfähigkeit erleben muß, eine richtige Familie zu gründen und von einem geliebten oder geschätzten Partner ein Kind zu empfangen – und die ihn für seine Umwelt zum beargwöhnten und abgelehnten Außenseiter stempeln kann. Gleichgeschlechtlichkeit mag in einzelnen Fällen anlagebedingt und durch Umwelteinflüsse nicht zu beseitigen sein. Gleichgeschlechtlichkeit kann jedoch durch Bieten von Gelegenheit oder gar durch Verführung nicht selten verursacht oder verstärkt werden, so daß es für Eltern grundsätzlich und von vornherein gilt, entsprechende Umwelteinflüsse von ihren minderjährigen Kindern fernzuhalten.

Die entsprechenden Bemühungen der Mutter im Interesse einer normalen, nicht anormalen, geschlechtlichen Entwicklung ihrer Tochter müssen respektiert werden; sie werden ihrer mütterlichen Elternverantwortung gerecht.

Landgericht Berlin FamRZ 1985, 519

Dem Versicherungsnehmer, der am Morgen des ersten Weihnachtsfeiertages die Kerzen eines Adventskranzes auf dem Wohnzimmertisch angezündet und den Frühstückskaffee zubereitet hat, sich in das Schlafzimmer begibt, um seine Lebensgefährtin zu wecken, sich dort von ihr ablenken lässt und deshalb den sich entwickelnden Brand nicht bemerkt, ist in subjektiver Hinsicht kein unentschuldbares Fehlverhalten vorzuwerfen, so dass der Hausratsversicherer nicht wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls leistungsfrei ist.

Aus den Gründen

Sie [die Versicherung] hat die Einlassung des Klägers, er habe sich nur kurz ins Schlafzimmer begeben wollen, um seine Lebensgefährtin zu wecken, nicht entkräften können. Unwidersprochen ist das Landgericht davon ausgegangen, daß der Kläger nach dem Betreten des Schlafzimmers aufgrund der „körperlichen Reize” seiner Lebensgefährtin nicht mehr an den brennenden Adventskranz gedacht habe. Für die Darstellung des Klägers, von seiner Lebensgefährtin ungeplant abgelenkt worden zu sein, spricht im übrigen, daß er unstreitig den Frühstückskaffee bereits zubereitet hatte, als er sich in das Schlafzimmer begab. Sein Verhalten erscheint danach zwar fahrlässig, aber – unabhängig davon ob der Aufenthalt im Schlafzimmer 15 oder bis zu 60 Minuten dauerte – nicht in einem Ausmaß schuldhaft, welches als unverzeihlich und damit als vorwerfbar grob fahrlässig einzustufen wäre (vgl. Senat, NVersZ  1998, 41; OLG München NVersZ 1999, 336).

In diesem Zusammenhang berücksichtigt der Senat, daß es sich bei dem Brennenlassen der Kerzen auf leicht entflammbarer Unterlage nicht um eine für den Kläger alltägliche, sich ständig wiederholende und deshalb routinemäßig beherrschte Gefahrensituation handelte. Die durch das unbeaufsichtigte Brennenlassen von Adventskranz- oder Weihnachtsbaumkerzen entstehende besondere Gefahrensituation ergibt sich vielmehr nur in der Weihnachtszeit. Es erscheint deshalb in subjektiver Hinsicht nicht als unverzeihliches Fehlverhalten, daß der Kläger sich der von dem Adventskranz ausgehenden Gefahr während seines nach der Ablenkung durch seine Lebensgefährtin ungeplant verlängerten Aufenthalts im Schlafzimmer zeitweilig nicht mehr bewußt war.

OLG Düsseldorf NJW-RR 2000, 621