Schlagwort-Archive: Bundesverfassungsgericht

Intimer Lauschangriff

Wird ein Verdächtiger polizeilich überwacht, dann muss der Kernbereich privater Lebensgestaltung absolut geschützt bleiben. Dieser Grundsatz gilt besonders bei der Telekommunikationsüberwachung und bei der akustischen Wohnraumüberwachung. Umfasst sind auch „Gefühlsäußerungen, Äußerungen des unbewussten Erlebens sowie Ausdrucksformen der Sexualität”, wie das Bundesverfassungsgericht zum “Großen Lauschangriff” urteilte (1 BvR 2378/98).

Aktuell war nun der Bundesdatenschutzbeauftragte gefordert, staatstrojanische Überwachungsmaßnahmen zu prüfen. Dabei machte er interessante Entdeckungen (Bericht, S.12*):

Anhand der von uns eingesehenen schriftlichen Aufzeichnungen der Gespräche fanden sich u.a. folgende Zusammenfassungen zu Gesprächen zwischen dem Beschuldigten und seiner Freundin in Südamerika:

  • „…kurzes erotisches Gespräch…“, 20.11.09, 14:31:54
  • „Gespräch übers Wetter und intime Angelegenheiten“, 20.11.2009, 15:43:24
  • „…Liebesbeteuerungen…“, 4.12.2009, 15:46:31, weiterer Wortlaut „…Danach Sexgespräch (Anm. Übers. Ab 15:52:20 bis 16:01:00 finden offensichtlich Selbstbefriedigungshandlungen statt)…“, „…weiter privat über Liebe…“

Die Tondateien zu diesen Gesprächen lagen noch vor. Das BKA führte aus, die Staatsanwaltschaft habe verfügt, die Dateien nicht zu löschen. Begründet wurde dies damit, dass eine Teillöschung technisch nicht möglich gewesen sei.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte schlussfolgert (Bericht, S.5*):

Die bei Maßnahmen der Quellen-TKÜ durch BKA und Behörden des Zollfahndungsdienstes eingesetzte Software ermöglicht es nicht, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffenden Inhalte ausgeleiteter Gespräche gezielt zu löschen. Damit wurde der vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung entwickelte Schutz zum Kernbereichs privater Lebensgestaltung bei heimlicher Telekommunikationsüberwachung, nämlich eine unverzügliche Löschung und Nichtverwertung kernbereichsrelevanter Gesprächsinhalte, missachtet.

*Bericht über Maßnahmen der Quellen-TKÜ bei den Sicherheitsbehörden des Bundes.

 

Unhate

Benetton lässt knutschen. In der aktuellen Werbekampagne Unhate werden Religions- und Staatsoberhäupter gegensätzlicher Couleur per Bildbearbeitung in Speichelkontakt gebracht. Der Vatikan protestierte umgehend gegen eine Fotomontage von Papst Benedikt und dem ägyptischen Imam Ahmed el Tajjeb.

Weitere Paarungen bilden der palästinensische Präsident Mahmud Abbas und der israelische Staatschef Benjamin Netanjahu, der nordkoreanische Diktator Kim Jong Il und der südkoreanische Präsident Lee Myung Bak, US-Präsident Barack Obama und sein venezolanischer Kollege Hugo Chavez sowie Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy.

Bereits mehrmals musste sich das Bundesverfassungsgericht mit Werbung des italienischen Textilherstellers auseinandersetzen, unter anderem in den bekannten Entscheidungen Benetton I und Benetton II.


Cybersex via Skype

Wie der Kollege Udo Vetter in seinem Blogbeitrag Skype: Staat hört mit berichtet, verfügen staatliche Ermittler mittlerweile über entsprechende Technik, um sich in Chatsoftware einzuklinken. Da diese Software auch für intime Gespräche bis hin zu „Cybersex“ genutzt wird, stellt sich die Frage: Erfolgen die Lauschangriffe nach den rechtlichen Regularien? Und ist die Intimsphäre bei der strategischen Telekommunikationsüberwachung ausreichend geschützt?

Gemäß dem G-10-Gesetz dürfen die Nachrichtendienste keine Aufzeichnungen vornehmen, wenn der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung gefährdet ist. Dieser Schutz umfasst „auch Gefühlsäußerungen, Äußerungen des unbewussten Erlebens sowie Ausdrucksformen der Sexualität“, laut Urteil des Bundesverfassungsgericht zum „Großen Lauschangriff“ (1 BvR 2378/98). Demnach müsste Cybersex via Skype für Polizei und Dienste ein unantastbarer Bereich sein. Ob in der Praxis das Privatleben von den Überwachern tatsächlich verschont bleibt, ist zu bezweifeln. Jedenfalls werden die technologischen Möglichkeiten immer umfangreicher. Vielleicht macht der Staat neben einem eigenen Mailservice (De-Mail), demnächst noch einen Chatdienst auf!?

Verfassungsbeschwerden gegen Verbot von Verbreitung einfach pornografischer Darbietungen im Internet an Minderjährige nicht erfolgreich

Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Oktober 2009:

„Die Verfassungsbeschwerden betreffen das Verbot der Verbreitung so genannter einfach pornografischer Darbietungen im Internet an Minderjährige. Die Beschwerdeführerin des Verfahrens 1 BvR 1184/08, deren Geschäftsführer der Beschwerdeführer in der Sache 1 BvR 710/05 ist, hat unter anderem ein Altersnachweissystem vertrieben, welches der Beschwerdeführer in der Sache 1 BvR 1231/04 als Zugangskontrolle zu den von ihm im Internet angebotenen pornografischen Darstellungen eingesetzt hatte. Während sich die Verfassungsbeschwerde in dem Verfahren 1 BvR 710/05 unmittelbar gegen die Vorschrift des § 184c a.F. StGB (heute: § 184d StGB) wendet, liegen den Verfahren 1 BvR 1231/04 und 1 BvR 1184/08 Verurteilungen der Beschwerdeführer in einem strafrechtlichen und einem wettbewerbsrechtlichen Verfahren wegen der Verwendung oder wirtschaftlichen Nutzung der nach Auffassung der Fachgerichte unzureichenden Altersnachweissysteme zugrunde. Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerden der drei Beschwerdeführer nicht zur Entscheidung angenommen. Alle drei Verfassungsbeschwerden sind nicht ausreichend begründet und daher unzulässig.

Den Begründungen kann insbesondere nicht entnommen werden, warum die Beschwerdeführer die angegriffenen gesetzlichen Altersnachweispflichten im Hinblick auf die Vielzahl frei verfügbarer pornografischer Angebote im Internet für ungeeignet halten, Minderjährige vor eventuellen negativen Einflüssen derartiger Darstellungen zu schützen. Auch wenn der Zugang zu pornografischen Angeboten im Internet durch die gesetzlich vorgeschriebene Sicherstellung des ausschließlichen Erwachsenenzugangs nicht völlig verhindert wird, kann er dadurch doch zumindest verringert werden.

Ebenso ist die von den Beschwerdeführern aufgestellte Behauptung, dem Gesetzgeber könne eine Einschätzungsprärogative hinsichtlich der jugendgefährdenden Wirkung eines Mediums mittlerweile nicht mehr zugestanden werden, nicht ausreichend dargelegt. Die Verfassungsbeschwerden legen weder schlüssig dar, dass diese vom Gesetzgeber seinerzeit als noch nicht abschließend geklärt angesehene Frage mittlerweile durch gesicherte Kenntnisse der Medienwissenschaft, der Entwicklungs- und Sozialpsychologie, der Pädagogik und der Kriminologie in eindeutiger Weise beantwortet worden wäre, noch dass der Gesetzgeber sich nicht in dem gebotenen Maß um ihre Klärung bemüht habe.

Auch der gerügte Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG genügt nicht den Begründungsanforderungen. Insoweit setzen sich die Verfassungsbeschwerden nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur hinreichenden Bestimmtheit des Begriffs  der Pornografie als Tatbestandsmerkmal auseinander. Sie zeigen weder auf, dass die dortigen Erwägungen in dem hier in Frage stehenden Kontext nicht zuträfen noch dass veränderte Umstände einem Festhalten an dem damals gefundenen Ergebnis entgegenstünden.“

Selbstbefriedigung und sexuelle Handlungen im Straßenverkehr erlaubt (AG Gummersbach)

Nach Ansicht des Amtsgerichts Gummersbach ist das Handy-Verbot im Straßenverkehr (§ 23 Ia 1 StVO) verfassungswidrig, weil es gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Artikel 3 Grundgesetz verstößt. Vergleichbare Handlungen seien nicht unter Strafe gestellt, etwa

  • während eines Gesprächs mit einer einwilligungsfähigen Beifahrerin an dieser – mit ihrem Einverständnis – sexuelle Handlungen von einiger Erheblichkeit über oder unter ihrer Bekleidung vorzunehmen, oder
  • selbstbefriedigende Handlungen vorzunehmen, soweit sie nicht nach den allgemeinen Strafgesetzen unter Strafe gestellt sind.

AG Gummersbach, Az.: 85 OWi 196/09, Vorlagebeschluss an das BVerfG.

via BeckBlog

Verfassungsbeschwerde gegen § 184c StGB

Hustler Europe, eine Tochterfirma der US-amerikanischen Larry Flynt Publications, erhebt Verfassungsbeschwerde gegen § 184c Strafgesetzbuch.

§ 184c Strafgesetzbuch ist am 5. November 2008 in Kraft getreten und verbietet den gewerblichen Vertrieb von Pornofilmen mit erwachsenen Darstellern, die ein jugendliches Erscheinungsbild aufweisen.

Dazu Helen Clyne, Geschäftsführerin von Hustler Europe: „Der deutsche Gesetzgeber greift in unsere Grundrechte ein. In der Tradition von Larry Flynt wehren wir uns gegen die weitere Kriminalisierung von Pornografie.“

Marko Dörre, Rechtsanwalt von Hustler Europe, erklärt: „Das Bundesverfassungsgericht wird prüfen müssen, ob § 184c Strafgesetzbuch die grundgesetzlich garantierten Freiheitsrechte verletzt. Wir fordern klare Regelungen für mehr Rechtssicherheit.“

Die Verfassungsbeschwerde von Hustler Europe rügt Eingriffe des § 184c Strafgesetzbuch in die Meinungs-, Berufs- und Eigentumsfreiheit. Ziel ist die Aufhebung der Strafbarkeit für scheinjugendliche Darsteller.

Zudem ist beantragt durch einstweilige Anordnung den § 184c Strafgesetzbuch bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde außer Kraft zu setzen.

Hustler Europe und Larry Flynt Publications achten streng auf die Volljährigkeit der Darsteller und archivieren alle Altersnachweise nach den US-amerikanischen Gesetzen.

(Pressemitteilung der Hustler Europe GmbH vom 5. November 2008)