Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, Entscheidung Nr. 5726 vom 10. Juni 2010, bekannt gemacht im Bundesanzeiger Nr. 93 vom 25. Juni 2010.
Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat in ihrer 627. Sitzung vom 10. Juni 2010 beschlossen:
Das Magazin „Wochenend Sex – für Sie und Ihn“ Nr. 2/2010, SPN Zeitschriften Verlags GmbH, Hamburg, wird in Teil A der Liste der jugendgefährdenden Medien eingetragen.
Sachverhalt
Das deutschsprachige Magazin „Wochenend Sex – für Sie und ihn“ wird von der Firma SPN Zeitschriften Verlags GmbH, Hamburg, herausgegeben. Es hat einen Umfang von 60 Seiten (inklusive der Umschlagseiten) und kostet, laut Aufdruck auf der vorderen Umschlagseite, 4,40 Euro.
Die Titelseite zeigt großformatig eine nackte junge Frau, die sich mit ihrer linken Hand am Schambereich berührt. Überschrieben ist das Bild mit: „Harte Lady: Im Bett hat sie oft die Hosen an!“ Weitere Titelthemen lauten: „Mutter & Tochter – Sie wollen es mal zu dritt treiben“, „Anal-Spiele: Ja, der Po, der macht Männer froh“, „Sex-Wettkampf: Heisses Pimpern auf der Bühne“, „Schamhaare rasieren: Los Männer mitmachen!“, „Dick oder Dünn: Welche Frau ist besser im Bett“.
Die Zeitschrift beinhaltet neben den Titelthemen im redaktionellen Teil weitere Artikel wie z.B. auf S. 38/39 den Artikel „Affären & Orgien am Arbeitsplatz! Im Büro wird gebumst, was das Zeug hält!“. Ferner finden sich Anzeigenseiten, auf denen Frauen verschiedensten Alters ihre sexuellen Dienste anbieten:
S. 2 und S. 28: „Billig & Willig Polinnen. Sie machen dich geil am Hörer!“
„SM – Line: Sklavinnen (ab 26 J.): Erniedrige diese Frauen und lass deiner Fantasie freien Lauf – am Telefon! Sie gehorchen aufs Wort und warten auf ihre Bestrafung!“
S. 28: „Geile Russin und verdorbene Polin für heißen Telefonsex! Hemmungslos!“
S. 38/39 Affären & Orgien am Arbeitsplatz! (Im Büro wird gebumst, was das Zeug hält! … Willige Sekretärinnen wohin man(n) schaut….Platz 1: Die Sekretärin: Sekretärinnen sind eigentlich nur dafür da, dass es dem Boss gut geht – aber auch um das leibliche Wohl der anderen Kollegen sind sie meist sehr besorgt und meinem schnellen Bums nie abgeneigt! Wenn du sie dir greifst, lass´ deinen Chef nichts davon wissen – er wäre sicher sauer, wenn du dich mit seiner Bettmaus vergnügst!
Platz 2 „: die sexy Kollegin…Dann ist sie genau das richtige „Opfer“ um´s dir mal richtig zu besorgen!“
Platz 3: Die junge Aushilfe/Azubine: Ohhh, Frischfleisch in der Firma! Das Küken ist eigentlich nur da, um leichte Aushilfsarbeiten zu erledigen oder ihre Ausbildung zu machen! Aber du kannst sie ruhig auch mal an größere Projekte wie z.B. deinen Lümmel ranlassen…“
S. 53: „Hiebe auf den ersten Blick“ (daneben: Bildnis einer in schwarzes Leder gekleideten Frau, die in einen Käfig gesperrt ist)
S. 59: „Speckig & Dreckig XXL Weiber“ und „ Besoffen & Geil: Alte Schachteln: Nach ein paar Gläsern sind sie hemmungslos und verdorben und gehen am Telefon richtig ab!“
Das Amt für Jugend und Familie des Landratsamts Würzburg beantragt die Indizierung des Magazins, da sein Inhalt jugendgefährdend sei. Schon auf der Titelseite werde auf sexuelle Praktiken wie Analsex hingewiesen.
Die Verfahrensbeteiligte wurde zunächst form- und fristgerecht davon in Kenntnis gesetzt, dass über den Antrag im vereinfachten Verfahren gemäß § 23 Abs. 1 JuSchG entschieden werden soll. Mit Schreiben vom 10.03.2010 bestellte sich der Verfahrensbevollmächtigte und widersprach einer Behandlung im vereinfachten Verfahren. Er wurde daraufhin form- und fristgerecht davon in Kenntnis gesetzt, dass nunmehr über den Antrag in der Sitzung vom 10.06.2010 entschieden werden solle.
Mit Schriftsätzen vom 17.05.2010 und 25.05.2010 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte, den Indizierungsantrag zurückzuweisen, hilfsweise von einer Listenaufnahme wegen Geringfügigkeit gemäß § 18 Abs. 4 JuSchG abzusehen. Zur Begründung führte er zunächst aus, der Indizierungsantrag sei nicht hinreichend begründet, da keine Angaben gemacht würden, auf welche Inhalte sich die Beanstandung konkret beziehe.
Ferner sei der Inhalt der Zeitschrift nicht als jugendgefährdend, insbesondere nicht als unsittlich zu bewerten. Der Begriff „unsittlich“ lasse sich rational nicht in einer nachvollziehbaren und belegbaren Weise darstellen, sondern sei eine subjektiv zu beantwortende Wertungsfrage, bei der es um zwei Aspekte gehe: Zum einen den Wandel der zu Grunde liegenden ethischen und gesellschaftlichen Wertvorstellung, die sich in einem ständigen Wandel befände, was gerade durch die Bewegung der 68er-Generation deutlich geworden sei, die man heute noch als eine Befreiung der Sexualität betrachte. Zum anderen sei die rein subjektive Wertung der „Unsittlichkeit“ durch persönliche Merkmale gekennzeichnet, nämlich Bildungsstandard, Religionszugehörigkeit oder ideologische Weltanschauung, ethische Grundüberzeugungen, streng konservativer oder aber liberaler Lebenseinstellung sowie auch die Lebenserfahrung eines jeden Menschen. Die Frage der „Unsittlichkeit“ sei rational nicht zu beantworten, auch nicht durch eine Mehrheitsentscheidung des Gremiums der Bundesprüfstelle.
Die Bundesprüfstelle habe hier nicht die Aufgabe, die Wertungsfrage der „Unsittlichkeit“ umfassend zu würdigen, sondern nur den Teilbereich des Jugendmedienschutzes, der durch zwei Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 23, 112 und 15, 318) sehr genau beschrieben werde. Entscheidend sei, ob das Medium die ungestörte sexuelle Entwicklung von Minderjährigen beeinträchtige. Der Verfahrensbevollmächtigte verweist insoweit auf Ausführungen von Prof. Scarbath, Hamburg, der darauf verweise, dass sich die Eignung einer Schrift zur Jugendgefährdung ausschließlich nach lerntheoretischen Gesichtspunkten entscheide. Unter lerntheoretischer Perspektive sei insbesondere zu fragen, ob Gestaltungselemente und Inhalte im bildlichen oder textlichen Teil geeignet seien, als Modelangebot für imitativ-lernende Übernahme zu dienen und somit den erlernten Erwerb sozial-ethisch problematischer Einstellungen und Verhaltensweisen zu induzieren. Es komme also darauf an, ob der Inhalt der Zeitschrift Kindern und Jugendlichen ein Verhaltensmodell anbiete, welches den Erziehungszielen zuwiderlaufe. Dies sei nicht erkennbar, da angeblich anreißerische Fotos und Telefonsexanzeigen keine Verhaltensmodelle anböten.
Auch sei der Inhalt der Zeitschrift nicht Frauen diskriminierend. Frauendiskriminierung im sexuellen Bereich bedeute in der heutigen, durch die Emanzipation geprägten Zeit nicht mehr, dass Frauen als Lustobjekte behandelt würden, da sich in der Realität keine Frau mehr zum bloßen sexuellen Konsumartikel des Mannes degradieren lasse. Eine Ausnahme hierzu sei lediglich in dem sexuellen und gesellschaftlichen Umfeld einer ethnischen islamischen Minderheit festzustellen, die Frauen jede Form der außerehelichen Sexualität untersage und Verstöße mit Sanktionen von Prügelstrafen bis zu „Ehrenmorden“ ahnde.
Wenn man sich dies vor Augen halte, werde deutlich, was Frauendiskriminierung im sexuellen Bereich eigentlich bedeute – mit Sicherheit nicht den Anblick einer in ihrer Nacktheit provozierenden Frau.
Die verfahrensgegenständliche Ausgabe der Zeitschrift sei in der Zeit vom 12.02.2010 bis zum 15.03.2010 mit einer Druckauflage von 39.000 Exemplaren zum Verkauf angeboten worden. Tatsächlich seien aber nur 11.300 Exemplare verkauft worden.
In der Sitzung nahm der Verfahrensbevollmächtigte Bezug auf die bereits gestellten Anträge und den Inhalt der Schriftsätze und führte darüber hinaus an, die Zeitschrift und insbesondere die Telefonsexanzeigen seien nicht jugendaffin. Die Zeitschrift richte sich an Leser im Alter von über 30 Jahren und werde auch von diesen hauptsächlich gekauft. Jugendliche schrecke der Kaufpreis eher ab, zumal sie im Internet schneller Bilder aus dem sexuellen Bereich fänden, die sie auch eher ansprächen, weil dort die Modelle intimrasiert seien. Letztlich sei einzelnen Fotos oder Anzeigen im Umfeld der gesamten Zeitschrift eine jugendgefährdende Wirkung abzusprechen.
Der Chefredakteur verwies ergänzend darauf darauf, dass der Artikel über den Sex im Büro zwar die Realität beschreibe, er ihn aber in dieser Form und mit der Wortwahl „Küken“ nicht hätte veröffentlichen sollen. Auch die Anzeige „Hiebe auf den ersten Blick“ sehe er als bedenklich an. Dies sei übersehen worden und werde so nicht noch einmal publiziert werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prüfakte und den des Magazins Bezug genommen. Die Mitglieder des 12er-Gremiums war das verfahrensgegenständliche Magazin vor der Sitzung zur Sichtung übersandt worden.
Gründe
Die Zeitschrift „Wochenend Sex – für Sie und Ihn“, Nr. 2/2010, SPN Zeitschriften Verlags GmbH, Hamburg, war antragsgemäß zu indizieren.
Ihr Inhalt ist geeignet, Kinder und Jugendliche sozialethisch zu desorientieren, wie das Tatbestandsmerkmal „Gefährdung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihrer Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ in § 18 Abs. 1 Satz 1 JuSchG nach ständiger Spruchpraxis der Bundesprüfstelle sowie höchstrichterlicher Rechtsprechung auszulegen ist.
Der Indizierungsantrag ist, anders als vom Verfahrensbevollmächtigten beanstandet, hinreichend begründet. Das Gremium hat unabhängig davon den gesamten Inhalt des Mediums zu sichten und kann hier zu einer eigenen Auffassung gelangen, welche Teile als jugendgefährdend zu bewerten sind.
Nach § 18 Abs. 1 S. 2 JuSchG sind Medien u.a. dann jugendgefährdend, wenn sie unsittlich sind, verrohend wirken, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizen oder wenn sie Gewalthandlungen wie Mord- und Metzelszenen selbstzweckhaft und detailliert darstellen oder Selbstjustiz als einzig bewährtes Mittel zur Durchsetzung der vermeintlichen Gerechtigkeit nahe legen.
Der Inhalt der verfahrensgegenständlichen Ausgabe der Zeitschrift „Wochenend Sex – für Sie und Ihn“ ist unsittlich im Sinne des § 18 Abs. 1 S. 2 JuSchG.
Ein Medium ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung unsittlich, wenn es nach Inhalt und Ausdruck objektiv geeignet ist, in sexueller Hinsicht das Scham- und Sittlichkeitsgefühl gröblich zu verletzen (BVerwGE 25, 318 (320)). Das Tatbestandsmerkmal „unsittlich“ kann daher schon dann erfüllt sein, wenn Menschen nackt dargestellt werden und weitere Umstände hinzutreten (Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 4. Aufl. 2000, 60. Kapitel Rn. 8; Scholz, Jugendschutz, 3. Aufl. 1999, S. 50, mit zahlreichen Beispielen für besondere Umstände; Steffen, Jugendmedienschutz aus Sicht des Sachverständigen, in: Jugendschutz und Medien, Schriftenreihe, Universität Köln, Band 43, S. 44f.).
Die Literatur zählt in Übereinstimmung mit der Spruchpraxis der Bundesprüfstelle zu den für eine Unsittlichkeit hinzutretenden weiteren Umständen z.B. Darstellungen, die Promiskuität, oder Prostitution verherrlichen, die Frauen und auch Männer als jederzeit verfügbare Lust- und Sexualobjekte erscheinen lassen, oder aus anderen Gründen als entwürdigend erscheinen (Ukrow, Jugendschutzrecht, 2004, Rn. 276).
Nach ständiger Spruchpraxis der Bundesprüfstelle ist die Möglichkeit einer sittlichen Gefährdung weiterhin dann anzunehmen, wenn zu befürchten ist, dass durch den Konsum des Mediums das sittliche Verhalten des Kindes oder Jugendlichen im Denken, Fühlen, Reden oder Handeln von dem im Grundgesetz und im Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG/SGB VIII) formulierten Normen der Erziehung wesentlich abweicht. Wissenschaftliche Literatur fasst diese Ansicht allgemein so zusammen:
„Das Erziehungsziel ist in unserer pluralistischen Gesellschaft vor allem dem Grundgesetz, insbesondere der Menschenwürde und den Grundrechten, aber auch den mit dem Grundgesetz übereinstimmenden pädagogischen Erkenntnissen und Wertmaßstäben, über die in der Gesellschaft Konsens besteht, zu entnehmen“ (Scholz, Jugendschutz, 3.Aufl. 1999, S. 48).
„Eines der Erziehungsziele ist die Integration der Sexualität in die Gesamtpersönlichkeit des Menschen. Kinder und Jugendliche brauchen Hilfestellung und Orientierung, um ihre sexuelle Identität zu finden, um Sexualität als bereichernd und lustvoll zu erleben, um bindungsfähig zu werden, um überkommene Rollenvorstellungen zu überwinden, um urteilsfähig zu werden und verantwortungsbewusst zu handeln“ (Vgl. Antonius Janzing: Sexualpädagogik, in: Handbuch des Kinder- und Jugendschutzes, Grundlagen-Kontexte-Arbeitsfelder, S. 337).
Diese Grundsätze und die Spruchpraxis der Bundesprüfstelle sind durch die Rechtsprechung bestätigt worden. So hat das OVG Münster (Urteil v. 05.12.2003, Az. 20 A 5599/98, S. 11 ff) dazu folgendes ausgeführt:
„Das Zwölfergremium verbindet (…) die im Katalog des § 1 Abs. 1 Satz 2 GjSM [nunmehr § 18 Abs. 1 Satz 2 JuSchG] beispielhaft genannten „unsittlichen“ Medien mit dem Verständnis der Voraussetzungen des Grundtatbestandes [§ 18 Abs. 1 Satz 1 JuSchG, vormals § 1 Abs. 1 Satz 1 GjSM] und geht davon aus, dass ein Gefährdungspotential insbesondere zu bejahen ist, wenn Kinder oder Jugendliche durch unsittliche Inhalte eines Mediums sozialethisch desorientiert werden können. Dieser Ansatz ist nicht zu beanstanden. Da Kinder und Jugendliche ihre Sexualität entwickeln müssen, dabei auf Orientierungspunkte zurückgreifen und somit durch äußere Einflüsse steuerbar sind, kann all jenen Medien eine jugendgefährdende Wirkung zuzusprechen sein, deren Inhalt gesellschaftlich anerkannten sittlichen Normen eklatant zuwiderläuft. Denn mit dem Begriff der Gefährdung verlangt [das Gesetz] keine konkrete oder gar nachweisbare Wirkung im Einzelfall; eine Gefährdung ist vielmehr schon dann zu bejahen, wenn eine nicht zu vernachlässigende Wahrscheinlichkeit angenommen werden darf, dass überhaupt Kinder und/oder Jugendliche durch die dargestellten Inhalte beeinflusst werden können.(…) Das Maß der Gefährdung variiert dabei vor allem aufgrund der Kriterien, die die Unsittlichkeit begründen; als qualifizierend sind insbesondere die vom Zwölfergremium (…) genannten Merkmale anzuerkennen, wie etwa: Verherrlichung von Promiskuität, Gruppensex oder Prostitution, Präsentation von Menschen als jederzeit verfügbare Lust- und Sexualobjekte, Gewaltanwendungen oder sonst entwürdigende Darstellungen.“
Die in dem verfahrensgegenständlichen Magazin abgedruckten Telefonsexanzeigen und Artikel vermitteln durchgängig den Eindruck, dass Frauen als jederzeit verfügbare Lust- und Sexualobjekte zu sehen seien.
Bei Kindern und Jugendlichen kann es zu einer sexualethischen Desorientierung kommen, wenn ihnen ein falsches Verhaltensmodell angeboten wird. Dies ist bei Berichten über Frauen und Sexualität der Fall, wenn durch den Inhalt der Berichte Kindern und Jugendlichen ein falsches Bild von der Rolle der Frau im Hinblick auf Ehe, Partnerschaft, Sexualität und Gesellschaft vorgespiegelt wird. Gerade das ist bei der verfahrensgegenständlichen Zeitschrift der Fall. Durch die Fotostrecken wird der Eindruck vermittelt, es handele sich bei den sehr jungen Frauen um Ware, die für den Betrachter stets verfügbar ist. Sexualität ist sowohl sozial geformt als auch individuell kultiviert. Sie zeigt sich – je nach Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung und gesellschaftlichem Umfeld – in einer Vielfalt von sexuellen Lebens- und Ausdrucksformen, die neben- und nacheinander gelebt werden können. Jugendliche und Erwachsene werden dadurch im Verlauf ihres Lebens immer wieder zu erneuter bewusster Entscheidung für eine sexuelle Lebensform herausgefordert.
Aufgabe der Sexualpädagogik und damit Erziehungsziel ist es, Jugendliche auf ihrem Weg zu sexueller Selbstbestimmung und Verantwortlichkeit zu begleiten und zu unterstützen. Sexualpädagogik soll Orientierung geben, ohne zu reglementieren, und Perspektiven aufzeigen, ohne zu indoktrinieren. Sie bietet den Heranwachsenden Lernmöglichkeiten zur Entwicklung der Kompetenzen, die die Grundlage sexueller Mündigkeit bilden. d. h. die Thematisierung von Werten und Normvorstellungen innerhalb der Gesellschaft. Dazu zählen u.a. Gefühle, Liebe, Erotik, sexuelle Selbstbestimmung, Partnerschaft und Geschlechterrollen. Diesen Werten und Normvorstellungen im Rahmen der in der Gesellschaft vorherrschenden, mit dem Grundgesetz in Einklang stehenden Zielen der Sexualerziehung läuft das verfahrensgegenständliche Magazin diametral entgegen.
Die Texte und Bilder der Artikel und Anzeigen zielen allein auf die sexuelle Stimulation des Betrachters ab, indem aus der Thematisierung von zwischenmenschlicher Sexualität einzig die Befriedigung des Sexualtriebes hervorgeht und die Thematisierung zwischenmenschlicher Beziehung oder Zuneigung gänzlich abwesend sind.
So heißt es z.B. in dem Artikel S. 38/39 (Im Büro wird gebumst, was das Zeug hält!:) … Willige Sekretärinnen wohin man(n) schaut…. … Platz 1: Die Sekretärin: Sekretärinnen sind eigentlich nur dafür da, dass es dem Boss gut geht – aber auch um das leibliche Wohl der anderen Kollegen sind sie meist sehr besorgt und einem schnellen Bums nie abgeneigt! Wenn du sie dir greifst, lass´ deinen Chef nichts davon wissen – er wäre sicher sauer, wenn du dich mit seiner Bettmaus vergnügst! Platz 2 „: die sexy Kollegin…Dann ist sie genau das richtige „Opfer“ um´s dir mal richtig zu besorgen!… Platz 3: Die junge Aushilfe/Azubine: Ohhh, Frischfleisch in der Firma! Das Küken ist eigentlich nur da, um leichte Aushilfsarbeiten zu erledigen oder ihre Ausbildung zu machen! Aber du kannst sie ruhig auch mal an größere Projekte wie z.B. deinen Lümmel ranlassen…“
Arbeitnehmerinnen werden in diesem Artikel ausschließlich unter dem Blickwinkel des Sexualobjektes betrachtet, das den männlichen Arbeitnehmern jederzeit zu deren sexuellen Verfügung steht.
Ferner wird suggeriert, dass insbesondere junge Auszubildende oder Aushilfen eine leichte Beute für sexuelle Abenteuer seien. Sie werden in dem Artikel durch entsprechende Wortwahl „Frischfleisch“, „Bettmaus“, „Küken“ oder „Opfer“ als naiv und unerfahren gekennzeichnet und auf eine Rolle als bloßes Sexualobjekt reduziert.
Das Gremium hat in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass die Vornahme sexueller Handlungen an zur Ausbildung anvertrauten Personen den Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen gemäß § 174 StGB erfüllt, wenn die auszubildende Person minderjährig ist.
Die Texte vermitteln den Eindruck, das Leben, sowie zwischenmenschlicher Kontakt seien auf die Maximierung von Lustgewinn, der eine stetige Steigerung erfahren könne, reduziert. Durch die Darstellungen wird der Eindruck erweckt, Sexualität sei von der jeweiligen Bezugsperson gänzlich unabhängig, was die Beteiligten zu bloßen, auswechselbaren Objekten sexueller Begierde macht.
Zur Begründung hat das Gremium ferner auf folgende Telefonsex-Anzeigentexte verwiesen, die sich zum Teil mehrfach im Heft finden:
S. 2 „Billig & Willig Polinnen. Sie machen dich geil am Hörer!“
„SM – Line: Sklavinnen (ab 26 J.): Erniedrige diese Frauen und lass deiner Fantasie freien Lauf – am Telefon! Sie gehorchen aufs Wort und warten auf ihre Bestrafung!“
S. 28: „Geile Russin und verdorbene Polin für heißen Telefonsex! Hemmungslos!“,
„SM – Line: Sklavinnen (ab 26 J.): Erniedrige diese Frauen und lass deiner Fantasie freien Lauf – am Telefon! Sie gehorchen aufs Wort und warten auf ihre Bestrafung! – Bondage –Fantasien:„Stell dir vor wie ich geknebelt vor dir liege und nur vor Geilheit stöhne“.
S. 53: „Hiebe auf den ersten Blick“ (daneben: Bildnis einer in schwarzes Leder gekleideten Frau, die in einen Käfig gesperrt ist)
S. 59: „Speckig & Dreckig XXL Weiber“ und „ Besoffen & Geil: Alte Schachteln: Nach ein paar Gläsern sind sie hemmungslos und verdorben und gehen am Telefon richtig ab“
Das Gremium hat insbesondere darauf verwiesen, dass in den „SM-Line“ – Anzeigen auf S. 2, 28 und 53 Frauen als Sexualobjekte dargestellt werden, die beliebig zu erniedrigen und zu bestrafen seien.
Diese Anzeigen präsentierten nach Auffassung des Gremiums eine aus Sicht des Jugendschutzes äußerst bedenkliche Vermischung von Sexualität und Gewalt. Die Darstellerin lässt sich zur Lustgewinnung erniedrigen und quälen; ihr Gegenpart findet Befriedigung darin, sich immer neue Methoden der Entwürdigung seiner Sexualpartnerin auszudenken: „Erniedrige diese Frauen und lass deiner Fantasie freien Lauf“.
Diese Darstellungen bergen nach Auffassung des Gremiums die große Gefahr, dass männliche Jugendliche das Vorurteil, Frauen wünschten sich insgeheim die Anwendung von Gewalt bei sexuellen Handlungen und ihr eventueller, nur vorgeblicher Widerstand hiergegen dürfe jederzeit ignoriert werden, in ihr eigenes Weltbild übernehmen. Auch die Demütigung anderer Personen wird vorliegend als nachahmenswert oder gar von der unterlegenen Person erwünscht dargestellt. So heißt es in der SM-Line–Anzeige auf S. 28: „Stell dir vor wie ich geknebelt vor dir liege und nur vor Geilheit stöhne.“
Darstellungen und Beschreibungen dieser Art führen auch dazu, dass männliche Jugendliche, insbesondere solche aus autoritär-patriarchalisch geprägtem Umfeld, den hier propagierten rücksichtslosen Umgang mit Frauen noch weniger in Frage stellen oder sogar in ihr eigenes Verhalten übernehmen. Derartige aus Sicht des Jugendschutzes äußerst problematischen Gewaltdarstellungen und -schilderungen sind der Bundesprüfstelle aus zahlreichen jüngeren Verfahren zu Tonträgern mit deutscher Rapmusik bekannt, in denen die Liedtexte ebenfalls den Eindruck erwecken, Frauen hätten jederzeit zur sexuellen Befriedigung des Mannes zur Verfügung zu stehen, notfalls auch gegen ihren Willen.
Auf der anderen Seite werden jugendliche Zuschauerinnen, darunter diejenigen, die aus ihrem sozialen Umfeld eine Herabwürdigung von Frauen bereits kennen oder erleiden, in ihrem Selbstwertgefühl weiter herabgestuft. Es besteht die Gefahr, dass sich bei ihnen eine Leidensbereitschaft verstärkt, aufgrund derer sie die Schlechtbehandlung ihrer Person, Gewaltzufügung oder sexuelle Übergriffe ohne Gegenwehr – weiter – hinnehmen. Dass Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen auch von Jugendlichen begangen werden, machen Ereignisse der letzten Monate nur allzu deutlich.
Dass die Verknüpfung von Sex und Gewalt zudem besonders jugendgefährdend ist, zeigen folgende Forschungsergebnisse:
„Außerdem ist anzunehmen, dass die ständige Verknüpfung von sexuellen und aggressiven Darstellungen die Gefahr einer Erotisierung von Gewalt in sich birgt. Der fortgesetzte Konsum von Filmen dieses Genres könnte damit zur Entstehung eines äußerst bedenklichen Phänomens beitragen, das in jüngster Zeit experimentell bestätigt wurde: Nicht nur sexuell-aggressive Darstellungen, sondern auch solche, die nicht sexuelle Gewalt zum Ausdruck bringen, wirken auf eine bestimmte Personengruppe der männlichen Normalbevölkerung erotisierend und lösen sexuelle Reaktionen aus.“
(Malamuth, Check & Briere, 1986, in: Henner Ertel: Erotika u. Pornographie, München 1990, S. 17f).
„Während einer von uns (Seymour Feshbach) zu einer Minderheit gehört, die die Auswirkungen der Gewaltdarstellungen am Bildschirm, sowie sie in letzter Zeit beschrieben wurden, für weit übertrieben hält, teilen wir die Ansicht, dass die Darstellung von Gewalt in Erotica Schaden anrichten könnte. Im Gegensatz zu den typischen Gewaltszenen im Fernsehen ist die pornographische Gewaltanwendung nicht integraler Bestandteil eines größeren dramatischen Themas. Vielmehr ist die Gewaltanwendung in erotischen Situationen selbst das Thema. Manchmal ähneln diese Darstellungen der Erotik sogar einem gebrauchsanweisungsartigen Lehrfilm. Darüber hinaus schafft das Nebeneinander von Gewalttätigkeit und sexueller Erregung und Befriedigung eine seltene Gelegenheit für die Konditionierung von gewaltsamen Reaktionen auf erotische Reize. Die Botschaft, dass Schmerz und Erniedrigung „Spaß“ machen können, ermutigt dazu, die Hemmungen gegen Vergewaltigungen fallen zu lassen.
Die Frage, wann und wie erotisches Material kontrolliert und zensiert werden soll erfordert jedoch mehr als nur psychologische Betrachtungen. Als Psychologen würden wir öffentliche Bemühungen unterstützen, die den Zugang zu gewalttätigen Erotica auf solche Erwachsene beschränken, die sich der Natur des Materials voll bewußt sind und sich wissentlich und bewußt für ihren Kauf entschieden haben. (Seymour Feshbach u. Neal Malamuth in: Sex und Gewalt Psychologie heute, Heft 2, Februar 1979)
Neben den in § 18 Abs. 1 Satz 2 JuSchG als Regelfälle aufgelisteten Medien kann die Bundesprüfstelle weitere Medieninhalte als jugendgefährdend einstufen.
Dazu zählt nach ständiger Spruchpraxis des 12er-Gremiums auch die Diskriminierung von Menschen. Unter Diskriminierung wird die Abwertung von Menschen oder Gruppen aufgrund ihrer kulturellen und sozialen Gewohnheiten, sexuellen Neigungen oder Orientierungen, Sprachen, Geschlecht, Behinderung oder äußerlichen Merkmalen verstanden. Sie steht dem Grundsatz der Gleichheit aller Menschen entgegen.
Das Gremium hat die oben aufgeführten Anzeigentexte auch unter dem Aspekt, dass vorliegend Menschen aufgrund ihres Alters, ihrer Physiognomie und ihrer Herkunft diskriminiert werden, als jugendgefährdend eingestuft. Frauen aus osteuropäischen Ländern werden in den Anzeigentexten als besonders willig oder verdorben bezeichnet:
S. 2 „Billig & Willig Polinnen. Sie machen dich geil am Hörer!“
S. 28: „Geile Russin und verdorbene Polin für heißen Telefonsex! Hemmungslos!“
Korpulentere Frauen werden als „dreckig und speckig“ diffamiert und ältere Frauen als verdorbene „alte Schachteln“. Auch diese abwertenden Bezeichnungen für korpulentere oder ältere Menschen stufte das Gremium als diskriminierend und damit jugendgefährdend ein:
S. 59: „Speckig & Dreckig XXL Weiber“ und „ Besoffen & Geil: Alte Schachteln: Nach ein paar Gläsern sind sie hemmungslos und verdorben und gehen am Telefon richtig ab“
Es besteht die naheliegende Gefahr, dass Kinder und Jugendliche die dort verbreiteten Vorurteile in ihre eigene Anschauung übernehmen und Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihres Alters oder ihrer Physiognomie ausgrenzen.
Eine Auseinandersetzung mit dem Kunstvorbehalt erübrigt sich vorliegend. Nach der Rechtsprechung des OVG Münster (Beschluss vom 28.06.1991 zu „Penthouse“ und zu „New Magazines“, Az.: 20 A 1306/87 und 20 A 1184/87) sind Abbildungen nackter oder spärlich bekleideter Fotomodelle, die mit ihren zur Schau gestellten Geschlechtsmerkmalen lediglich sexuelle Bedürfnisse des Betrachters befriedigen sollen, nicht als Kunstwerk einzustufen. Solchen Abbildungen lässt sich kein künstlerischer Aussagewert entnehmen, auch sind sie nicht interpretationsfähig.
Eine Entscheidung wegen Geringfügigkeit gemäß § 18 Abs. 4 JuSchG verbietet sich im Hinblick auf die Tatsache, dass der Inhalt als in hohem Maße jugendgefährdend einzustufen ist. Auch wenn die verfahrensgegenständliche Ausgabe des Magazins nach Angaben des Verlags bereits nicht mehr erhältlich ist und lediglich in der Zeit vom 12.02.2010 bis zum 15.03.2010 mit einer Druckauflage von 39.000 Exemplaren zum Verkauf angeboten wurde, von der tatsächlich nur 11.300 Exemplare verkauft worden seien, so sieht das Gremium dennoch in den Inhalten eine so gravierende Jugendgefährdung, dass die Weitergabe an Minderjährige wirksam unterbunden werden muss.
Der Inhalt des Magazins erfüllt nach Ansicht des 12er-Gremiums nicht die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Nr. 2 JuSchG, mit der Folge, dass es in Teil A der Liste der jugendgefährdenden Medien aufzunehmen war.
Aus der Indizierungsentscheidung ergeben sich folgende Verbreitungs- und Werbebeschränkungen:
§ 15 Jugendgefährdende Trägermedien
Abs. 1 Trägermedien, deren Aufnahme in die Liste jugendgefährdender Medien nach § 24 Abs. 3 Satz 1 bekannt gemacht ist, dürfen nicht
1. einem Kind oder einer jugendlichen Person angeboten, überlassen oder sonst zugänglich gemacht werden,
2. an einem Ort, der Kindern oder Jugendlichen zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, ausgestellt, angeschlagen, vorgeführt oder sonst zugänglich gemacht werden,
3. im Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen, in Kiosken oder anderen Verkaufsstellen, die Kunden nicht zu betreten pflegen, im Versandhandel oder in gewerblichen Leihbüchereien oder Lesezirkeln einer anderen Person angeboten oder überlassen werden,
4. im Wege gewerblicher Vermietung oder vergleichbarer gewerblicher Gewährung des Gebrauchs, ausgenommen in Ladengeschäften, die Kindern und Jugendlichen nicht zugänglich sind und von ihnen nicht eingesehen werden können, einer anderen Person angeboten oder überlassen werden,
5. im Wege des Versandhandels eingeführt werden,
6. öffentlich an einem Ort, der Kindern oder Jugendlichen zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, oder durch Verbreiten von Träger- oder Telemedien außerhalb des Geschäftsverkehrs mit dem einschlägigen Handel angeboten, angekündigt oder angepriesen werden,
7. hergestellt, bezogen, geliefert, vorrätig gehalten oder eingeführt werden, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Nummern 1 bis 6 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen.
Abs. 3 Den Beschränkungen des Absatzes 1 unterliegen auch, ohne dass es einer Aufnahme in die Liste und einer Bekanntmachung bedarf, Trägermedien, die mit einem Trägermedium, dessen Aufnahme in die Liste bekannt gemacht ist, ganz oder im Wesentlichen inhaltsgleich sind.
Abs. 5 Bei geschäftlicher Werbung darf nicht darauf hingewiesen werden, dass ein Verfahren zur Aufnahme des Trägermediums oder eines inhaltsgleichen Telemediums in die Liste anhängig ist oder gewesen ist.
Abs. 6 Soweit die Lieferung erfolgen darf, haben Gewerbetreibende vor Abgabe an den Handel die Händler auf die Vertriebsbeschränkungen des Absatzes 1 Nr. 1 bis 6 hinzuweisen.
Rechtsbehelfsbelehrung
Eine Klage gegen diese Entscheidung kann innerhalb eines Monats ab Zustellung schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle beim Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz 1, 50667 Köln, erhoben werden. Die Klage ist gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesprüfstelle zu richten (§§ 25 Abs. 1, 2, 4 JuSchG; 42 VwGO). Sie hat keine aufschiebende Wirkung.
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Ich dachte erst, mit der Beschreibung (z.B. der Anzeigen) sei die Blödzeitung gemeint.
Als ich dann weiterlas kam mir der (neheliegende) Gedanke: wieso wird dieses Springer-Blatt eigentlich nicht von dieser Zensurbehörde verfolgt? Ist Springer zu mächtig?
@Jeeves
Tageszeitungen können nicht indiziert werden.
Vgl. § 22 Absatz 1 Satz 2 Jugendschutzgesetz:
http://www.gesetze-im-internet.de/juschg/__22.html