In der aktuellen Expertise Pornografie und Jugend – Jugend und Pornografie setzt sich Prof. Dr. Kurt Starke mit wissenschaftlichem Hintergrundmaterial zum Thema auseinander, wobei der Schwerpunkt in der Rezeption und Wirkung von Pornografie liegt. Im Ergebnis hält der Sexualwissenschaftler die schädliche Wirkung von Pornografie auf Jugendliche für nicht belegt. Hier einige Zitate aus der sog. Quintessenz (S.101ff.):
1. Die Recherchen und Untersuchungen haben ein eindeutiges Ergebnis: Eine schädliche Wirkung von Pornografie per se auf Jugendliche kann nicht belegt werden. Es gibt zwar eine Fülle von Hypothesen und Vermutungen, auch solche, die auf den ersten Blick plausibel erscheinen, aber genaue und übergreifende Befunde liegen nicht vor.
3. Darstellungen sexuellen Inhalts sind Teil der Menschheitsgeschichte. Vielleicht nicht für jeden und in jeder Beziehung ein erfreulicher, aber doch ein nicht wegzudenkender oder wegzuschließender Teil. Er hängt mit der überragenden Bedeutung der Sexualität im individuellen und im gesellschaftlichen Leben zusammen.
4. Die Abwertung oder Verdammung von Pornografie beruht nicht oder nicht ausschließlich oder nur vorwandlich auf unsäglichen Momenten, fragwürdigen Einzelheiten oder subjektiv unerträglichen Elementen in pornografischen Produkten, sondern auf deren sexuellen Inhalt.
6. Bestimmte Inhalte, die der Pornografie vorgeworfen werden, wie Gewalt oder rückständige Frauen- und Männerrollen, sind nicht pornografiespezifisch und keine invarianten Merkmale von Pornografie. Sie müssen nicht nur dort und nicht nur in Medienangeboten überhaupt, sondern primär da bekämpft werden, wo sie sich real finden und ihren Boden haben, nämlich in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, und sie müssen nicht als Symptom therapiert, sondern in ihren Ursachen erkannt werden, um ihnen entgegentreten zu können.
8. Maßnahmen gegen Pornografie, so unsinnig, falsch und unvertretbar sie auch sein mögen, können aus Sorge um die Jugend und in einem Verantwortungsgefühl für die junge Generation angestrebt werden. Dies kann aber auch nur vorgeschützt sein, um repressive Absichten zu verdecken, einem populistischen Aktionismus zu folgen oder um eine Klientelpolitik zu betreiben.
9. Pornografie ist nicht verbietbar und nicht ausrottbar. Die beiden Prädikatsadjektive in diesem Satz gehören zusammen. Denn der finale Zweck von Verboten ist nicht die Bestrafung, sondern das Verschwinden des Verbotenen.
10. Gründe für die Nichtverbietbarkeit und Nichtausrottbarkeit gibt es viele. Ein erster und gewiss nicht der wichtigste Grund ist praktischer Natur. Angesichts ihrer quasi Unendlichkeit ist Pornografie nicht dingfest zu machen, und selbst wenn es legislativ gelänge, ein einheitliches Weltverbot zu erreichen, wäre es praktisch unmöglich, einen funktionierenden Verfolgungsapparat exekutiv aufzubauen. Das Gegenargument, es wenigsten zu versuchen, ist nicht stichhaltig, weil in der Selektivität von Verfolgungen immer die Zufälligkeit und die Willkür ihr Zepter schwingen. Ein Verbot, dass nicht durchsetzbar ist, ist sinnlos.
12. 1973 wurde das Wort „Pornografie“ in das StGB der Bundesrepublik Deutschland eingeführt. Es hat sich nicht bewährt. „Pornografie“ ist ein in jeder Beziehung, aber vor allem im juristischen Bereich untauglicher Begriff. Daher wäre es an der Zeit, das Wort aus dem StGB herauszunehmen. Stattdessen könnte konkret benannt werden, was strafbar ist – und das ist schwer genug.
13. In diesem Sinne ist der Blick auf § 184 und speziell § 184d des Strafgesetzbuches (StGB) sowie auf § 4 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und Satz 2 des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) zu richten. § 184d Satz 2 StGB betont, dass „durch technische oder sonstige Verkehrungen sichergestellt“ werden muss, dass „die pornografische Darbietung“ Personen unter achtzehn Jahren nicht zugänglich ist. Ausdrücklich wird in § 184d StGB eine Verbreitung „durch Medien- oder Teledienste“, also auch das Internet, angesprochen. Ähnlich lauten die Verbotsvorschriften des JMStV. Nach § 184 in Verbindung mit § 184d StGB und § 4 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und Satz 2 JMStV werden also grundsätzlich alle sexuellen oder erotischen Darstellungen und Darbietungen, die als pornografisch bewertet werden, auch einfach-pornografische Inhalte, für Jugendliche verboten… Aus Sicht der Sexualwissenschaft wie der Jugendforschung und in Anbetracht der Analysen in der vorliegenden Expertise sind die einschlägigen Paragrafen nicht nur unnütz und praktisch nicht durchsetzbar, sondern latent oder tatsächlich schädlich für Jugendliche. Gefahren für Jugendliche, vor denen das Verbot „einfacher Pornografie“ schützen könnte, sind wissenschaftlich nicht nachweisbar. § 184 und § 184d StGB sollten deshalb jedenfalls im Hinblick auf „einfache Pornografie“ gestrichen werden.