Kein Gründungszuschuss für Erotik-Web-TV

Das Sozialgericht Darmstadt hatte darüber zu entscheiden (Az.: S 17 AS 416/10), ob die geltend gemachten Eingliederungsleistungen für den beabsichtigten Betrieb eines Erotik-Live-TV-Magazins zu zahlen sind. Der arbeitslose Kläger stellte sein Konzept in dem vorgelegten Businessplan wie folgt dar:

  • Live-Reportagen auf Messen und Veranstaltungen rund um das Thema Erotik, wie z.B. auf der „ZU.“ oder auf Erotikmessen im gesamten Bundesgebiet;
  • Reportagen/Berichte über verschiedene erotische Themengebiete wie z.B. FKK-Clubs, Begleitservice, Swingerclubs, erotische Fotoausstellungen, Modellagenturen im Bereich Erotik etc.;
  • Interviews auf diversen Veranstaltungen und auch im Produktionsstudio;
  • Berichte über Dessous-Partys und Verkaufsshows über verschiedene Produktgruppen wie z.B. Dildos, Kleidung, Accessoires etc.;
  • Erotisches Monatshoroskop für alle zwölf Tierkreiszeichen;
  • Erotische Buchtipps;
  • Erotik-ABC;
  • Bildergalerie und Videothek;
  • Jobbörse für Modelle/Fotografen/Produzenten;
  • Forum;
  • Hochladen und Veröffentlichen von erotischen Clips der Zuschauer und vieles mehr;
  • Verkaufsshop.

Ausweislich seiner weitergehenden Erläuterungen richtet sich das Konzept an alle Personen mit einem Mindestalter ab 18 Jahre. Während zwischen 20.00 Uhr und 23.00 Uhr als Live-Übertragungen mit Live-Moderatoren Sendungsformate frei ausgestrahlt werden sollen – hauptsächlich Berichte, Reportagen Interviews und Buchtipps -, wird in einem geschlossenen, nur über Login für Abonnenten passwortgeschützten Benutzerbereich das gesamte Sendeprogramm ausgestrahlt. Für diesen Login-Bereich soll ein Abrechnungszahlsystem mit integriertem Alters-Verifikationsprogramm eingebaut werden.

In der abweisenden Entscheidung des Sozialgerichts Darmstadt heißt es weiter:

Dem Kläger stehen weder die geltend gemachten Eingliederungsleistungen noch ein Anspruch gegen den Beklagten auf erneute Bescheidung seines Antrags vom 6. April 2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, ohne dass es dabei entscheidungserheblich auf die zwischen den Beteiligten vorrangig umstrittenen Frage der wirtschaftlichen Tragfähigkeit des von ihm beabsichtigten Gründungsvorhabens „TZ.“ ankommt.

Bei jedem Erlass eines Verwaltungsaktes und damit auch bei Ermessensentscheidungen ist übergeordnet stets die Grenze der Sittenwidrigkeit zu beachten. Gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 5 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, der gegen die guten Sitten verstößt, nichtig und mithin unwirksam (§ 39 Abs. 3 SGB X), auch wenn der Fehler nicht offenkundig ist. Dies entspricht dem allgemeinen Gedanken des § 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Wann ein Verstoß gegen die guten Sitten vorliegt, bestimmt sich nach der herrschenden Rechts- und Sozialmoral (vgl. Roos, in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 40 Rn. 16 m.w.N.). Gemessen an dieser Moral würde eine Förderung des vom Kläger beabsichtigten Gründungsvorhabens „TZ.“ in der von ihm konzipierten Form gegen die guten Sitten verstoßen.

Ein Verwaltungsakt verstößt nicht nur gegen die guten Sitten, wenn er etwas Sittenwidriges anordnet, sondern auch dann, wenn er etwas erlaubt, was wegen Verstoßes gegen die Sittenwidrigkeit nicht erlaubnisfähig ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. Juli 2010, L 22 R 1181/10, juris Rn. 81 m.w.N.). Nach Auffassung der Kammer muss dies erst Recht für die Fälle gelten, in denen ein sittenwidriges Geschehen behördlicherseits nicht nur ausdrücklich erlaubt, sondern – sogar noch weitergehend – durch öffentliche Mittel überhaupt erst ermöglicht werden soll.

Mit dem von ihm beabsichtigten Gründungsvorhaben „TZ.“ will der Kläger über das Internet gewerbsmäßig und gegen Entgelt den Zugang zu – teilweise in Eigenproduktion hergestellter – Erotik- und Pornografie-Darbietungen unterschiedlichster Kategorien eröffnen. Damit ist sein Vorhaben – unstreitig – der Erotik- und Pornografie-Branche zuzuordnen. Als solches verstößt es gegen die guten Sitten.

Vorliegend kann offen bleiben, ob sich die Sittenwidrigkeit daraus ableiten lässt, dass die in den vom Kläger per Internet angebotenen Erotik- und Pornografie-Darbietungen und damit einem breiten Publikum zur Schau gestellten Darstellerinnen und Darstellern eine in ihrer Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG)) missachtende objekthafte Rolle zugewiesen ist. Es wäre zwar durchaus denkbar, darauf abzustellen, dass diese Darstellerinnen und Darsteller wie der sexuellen Stimulierung dienende Sachen zur entgeltlichen Betrachtung dargeboten und jedem – durch die Anonymität des Internets im Verborgenen bleibenden – Zuschauer als bloße Anregungsobjekte zur Befriedigung sexueller Interessen angeboten werden (vgl. zur Sittenwidrigkeit von Peep-Shows: BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1981, 1 C 232/79, juris Rn. 21). Ob diese Art der Darbietung sexueller Handlungen tatsächlich mit der Verfassungsentscheidung für die Menschenwürde unvereinbar ist, bedarf indessen keiner abschließenden Entscheidung. Denn nach Auffassung der Kammer sind solche Darbietungen ungeachtet der genannten Wertentscheidung des Grundgesetzes sittenwidrig. Ein Verwaltungsakt verstößt dann gegen die guten Sitten, wenn er das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verletzt (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juni 1994, 12 RK 82/92 = SozR 3-1300 § 40 Nr. 2). Hierbei handelt es sich um einen unbestimmten, ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriff, dessen Anwendung in vollem Umfang der gerichtlichen Nachprüfung unterliegt (BVerwGE 64, 280, 282; 71, 29, 30f.; 71, 34, 36). Mit ihm verweist das Gesetz auf die dem geschichtlichen Wandel unterworfenen sozialethischen Wertvorstellungen, die in der Rechtsgemeinschaft als Ordnungsvoraussetzungen anerkannt sind. Daraus folgt, dass nicht nur auf das Empfinden kleinerer Minderheiten abzustellen ist. Andererseits ist aber auch nicht erforderlich, dass die Wertvorstellung von sämtlichen Mitgliedern der Rechtsgemeinschaft getragen wird. Maßgeblich ist vielmehr die vorherrschende sozialethische Überzeugung, die sich allerdings weder lautstark äußern muss, noch mit der Forderung einhergehen muss, die dem sozialethischen Unwerturteil unterliegenden Erscheinungen niemals und nirgends zu dulden. Auch wenn die Rechtsgemeinschaft ein bestimmtes Geschehen sozialethisch missbilligt und somit als Verstoß gegen die guten Sitten ansieht, kann sie durchaus Gründe haben, ein solches Geschehen in gewissen Grenzen zu tolerieren.

Ausgehend hiervon kann es für die Frage, ob eine Förderung des vom Kläger beabsichtigten Gründungsvorhabens „TZ.“ mit den guten Sitten vereinbar oder unvereinbar ist, zunächst nicht maßgeblich darauf ankommen, dass die Erotik- und Pornografiedarstellerinnen und -darsteller freiwillig tätig werden und sie selbst ihre Tätigkeit nicht als entwürdigend empfinden. Ebenso wenig entscheidend ist auch die vom Beklagten – allerdings in einem anderen Zusammenhang – angeführte Tatsache, dass es im Internet eine Vielzahl von Erotik- und Pornografie-Angeboten gibt, die von einem Teil der Bevölkerung auch in Anspruch genommen werden. Selbst bei einer Zusammenschau deuten diese Umstände nicht einmal ansatzweise darauf hin, dass die Darstellerinnen und Darsteller ebenso wie die jeweiligen Internetbenutzer derartige Darbietungen als sittlich einwandfrei bewerten. Erst Recht lässt sich hieraus kein verlässlicher Rückschluss auf die Beurteilung der Rechtsgemeinschaft ableiten.

Dass seitens der Ordnungsbehörden keine Verbote gegen die Verbreitung von Erotik- und Pornografie-Ageboten im Internet ausgesprochen werden, soweit diese keinen strafbaren Inhalt aufweisen, ist ohne Belang. Denn es geht vorliegend nicht um die Erteilung einer Erlaubnis für das vom Kläger beabsichtigte Gründungsvorhaben „TZ.“, sondern um dessen finanzielle Förderung mit öffentlichen Mitteln. Allein aus dem Umstand, dass ein bestimmtes Geschehen mit Mitteln des Polizei- und Sicherheitsrechts nicht verboten wird bzw. gesetzlich nicht verboten werden kann, lässt umgekehrt nicht darauf schließen, dass dieses Geschehen dann zwangsläufig als sittlich einwandfrei zu bewerten ist.

Nach Auffassung der Kammer ist vielmehr entscheidend darauf abzustellen, dass die Herstellung und Produktion von Erotik- und Pornografie-Darbietungen sowie deren Vermarktung auf den Durchschnittsbeurteiler weiterhin als abstoßend, anrüchig und als etwas sittlich-moralisch Zweifelhaftes wirken und sie für den normalen Alltag bzw. im öffentlichen Leben abgelehnt werden. Das beruht darauf, dass – trotz einer immer weitergehenden Herabstufung sexualethischer Maßstäbe – die Vornahme sexueller Handlungen bis hin zum Geschlechtsverkehr nach herrschender Anschauung zum Intimbereich zwischen Frau und Mann gehört. Auch weiterhin soll diese Intimsphäre vor Einblicken Dritter – noch dazu zum Zwecke des bloßen Voyeurismus, der sexuellen Stimulierung und der Kommerzialisierung – geschützt sein. Dass diese Meinung in der Rechtsgemeinschaft anerkannt ist, zeigt sich schon allein am faktischen Verhalten der weit überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung. Diesem Schutzgedanken kommt dabei ein derart hohes Gewicht zu, dass sämtliche, dem zuwiderlaufenden Handlungen einem so eindeutigen Unwerturteil der Rechtsgemeinschaft unterliegen mit der Folge, dass ihre Bewertung als sittenwidrig gerechtfertigt ist.

Das gilt auch für Erotik- und Pornografie-Angebote im Internet, die naturgemäß dem öffentlichen Leben entzogen sind und von dem jeweiligen Benutzer im Schutze der dort vorzufindenden Anonymität und damit quasi „im Geheimen“ in Anspruch genommen werden können. Einerseits bestätigen also eben jene Angebote, dass Erotik und insbesondere Pornografie im öffentlichen Bereich nach wie vor tabuisiert werden. Andererseits erlaubt aber gerade auch die Anonymität des Internets keine andere, für den Kläger günstigere Beurteilung. Vor allem kann mit Blick hierauf nicht eingewandt werden, dass deshalb die Auswirkungen der Erotik- und Pornografie-Darbietungen auf den Benutzer – die sexuelle Stimulation – im Verborgenen bleiben würden und sie deshalb für die sozialethischen Bewertung unbeachtlich wären. Das Gegenteil ist der Fall. Denn bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit von gewerbsmäßigen Erotik- und Pornografie-Angeboten im Internet darf keinesfalls von deren beabsichtigter Wirkung auf die Internetbenutzer abgesehen werden. Die angestrebte sexuell stimulierende Wirkung bestimmt die Bewertung dieser Angebote selbst.

Dass Erotik- und Pornografie-Darbietungen von weiten Teilen der Bevölkerung als tragbar angesehen werden, wenn sie auf bestimmte, dafür bekannte Örtlichkeiten („Vergnügungsviertel“) beschränkt bleiben, ist unerheblich. Denn das, was die öffentliche Meinung für bestimmte Örtlichkeiten hinnimmt, verliert auch dort nicht den Makel der Sittenwidrigkeit. Werden nämlich Erotik- und Pornografie-Darbietungen wegen ihres Inhaltes überwiegend als anstößig empfunden, so entfällt diese Beurteilung nicht allein deswegen, weil sie in einer durch ähnliche Erscheinungen geprägten Umgebung stattfinden. Schon aus diesem Grund lässt sich der vorstehende Gedanke nicht auf die Verbreitung von Erotik- und Pornografie-Angeboten im Internet übertragen.

Ebenfalls ohne Belang ist schließlich noch der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Einwand, dass er das Konzept seines Gründungsvorhabens „TZ.“ ohne Weiteres entsprechend modifizieren könne. Unabhängig davon, inwieweit er dann im Zuge einer solchen Modifizierung seine eigentliche, sich von anderen Erotik- und Pornografie-Anbietern im Internet abhebende Geschäftsidee aufgeben müsste, kommt es im Rahmen der hier zu entscheidenden Klage allein auf das Konzept an, das seinem Antrag vom 6. April 2009 zugrunde liegt, mithin das im Businessplan vom 12. Oktober 2008 beschriebene Gründungsvorhaben.

Ein Gedanke zu „Kein Gründungszuschuss für Erotik-Web-TV

  1. Heinrich v. Schimmer

    Auch wenn das unerwartet kommen mag von einem, der einen (kleinen, aber gern genommenen) Teil seiner Brötchen mit der Fotografie auf Fetischevents verdient: Ich kann es nachvollziehen.
    Aus der (erfreulichen und sinnvollen) Toleranz der Gesellschaft/des Staates gegenüber bestimmten Beschäftigungen zwingend eine Förderungswürdigkeit abzuleiten, erscheint mir als recht schmales Brett. Im Übrigen ist die Entscheidung wohl eher eine pragmatische: ein positiver Bescheid hätte sich am nächsten Tag nicht nur in der ach so bösen Bildzeitung auf dem Titel wiedergefunden, Marke „Steuergelder für Porno!“, sondern genauso im nicht minder sensationsgeilen Spiegel.

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