„Die Adelheid“

In dem Lied „Die Adelheid” ist scheinbar von einer Tabakspfeife die Rede, die in Wirklichkeit jedoch ebenso unmißverständlich den männlichen Geschlechtsteil bezeichnen soll. Unter durchsichtigem verbalen Vorwand und in obszöner Weise werden der Geschlechtsverkehr sowie Manipulationen der Frau am männlichen Glied dargestellt…

Der Karneval gewährt Narrenfreiheit, aber nicht ein Ausnahmerecht, das unverdorbene sittliche Empfinden der Allgemeinheit zu verletzen.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 12. Juni 1969 (Az. 1 Ss 211/69).

Aus den Gründen:

Das SchöffG hat den Angeklagten K. vom Vorwurf eines fortgesetzten Vergehens gegen § 184 Abs. 1 StGB und den Angeklagten M. vom Vorwurf einer hierzu geleisteten Beihilfe freigesprochen. Die StrK hat die Berufung der StA verworfen. Die Revision der StA, mit der sie Verletzung materiellen Rechts rügt, hat Erfolg.

Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils hat der Angeklagte M. einige von ihm gedichtete Strophen eines Karnevalsschlagers „Mitten in der Nacht” dem Angeklagten K. für dessen Schallplattenproduktion zur Verfügung gestellt. Der Angeklagte K. stellte in seinem Studio in einer Auflage von 8.773 Stück eine Schallplatte her, die auf der Vorderseite und der Rückseite je einen Liedvortrag mit Musikbegleitung enthält. Die erste und die dritte Strophe des Liedes „Mitten in der Nacht” stammen von dem Angeklagten M.; die übrigen Strophen verfaßte der Angeklagte K. gemeinsam mit einer anderen Person. Der Angeklagte K. hat auch den Text des zweiten Liedes „Die Adelheid” abgefaßt. Etwa 3.000 Stück der Schallplattenauflage wurden von dem Angeklagten K. selbst, die übrigen Platten von einer anderen Firma vertrieben.

Der Text des ersten Liedes lautet:

„Ein Pärchen ging spazieren, mitten in der Nacht, sie tat sich noch genieren, mitten in der Nacht, und dann tat sie sich bücken, mitten in der Nacht, um Blümchen abzupflücken, mitten in der Nacht. Wie schön, wie schön, wie wird das weitergehen?”

Der Text des zweiten Liedes lautet:

„Ich hatte mal‘ ne süße Freundin, valevalerie und valera, mit dem Namen Adelheide, valevalerieriera, die machte mir zur Weihnachtszeit eine riesengroße Freud, ’ne Tabakspfeife hat sie mir gekauft und ‚Adelheid’ getauft. Oh Adelheid, oh Adelheid, Du bist meines Herzens Freud, Du, Du bist mein Ideal, das Pfeifchen meiner Wahl.”

Die StrK führt zur Begründung des Freispruchs aus: Der Inhalt der Lieder sei zwar geschlechtsbezogen, jedoch werde das Scham- und Sittlichkeitsempfinden nicht gröblich verletzt. Die Toleranzgrenze, innerhalb derer auch pikante Schilderungen geschlechtlicher Vorgänge strafrechtlich zulässig seien, werde hier nicht überschritten. Diese Grenze sei zeitbedingt und ständigem Wechsel unterworfen. Angesichts der heute üblichen freizügigen Darstellung sexueller Vorgänge in Filmen und in der Illustriertenpresse nehme ein „sexuell nicht verdorbener, andererseits aber auch nicht prüder Zuhörer” keinen Anstoß an beiden Liedvorträgen.

Diese Erörterungen sind nicht frei von Rechtsirrtum. § 184 StGB bezweckt, die im Volk allgemein bestehenden Begriffe von Scham, Sitte und Anstand in geschlechtlichen Dingen gegen Angriffe einzelner zu schützen. Da es sich hierbei um ein Gut handelt, das dem ganzen Volk eigen ist, muß das normale Durchschnittsempfinden der Gesamtheit als Gegenstand des Schutzes angesehen werden. Unzüchtig ist, was diesem Durchschnittsempfinden in geschlechtlicher Hinsicht widerspricht. Die Ansichten einzelner oder kleinerer Gruppen, die nach der einen oder anderen Seite von dieser Norm abweichen, sind insoweit nicht maßgebend (so BGHSt 3, 295/296 = NJW 53/114 und BGHSt 11, 67/72 = NJW 58, 22).

Der Senat hat bereits früher in einer den Jugendschutz betreuenden grundsätzlichen Entscheidung dargelegt, daß die sittlichen Wert Vorstellungen der Allgemeinheit nicht unwandelbar sind, sondern Akzentverschiebungen und Modifikationen unterliegen, und daß sich im Rahmen dieser von der überwiegenden Mehrheit des Volkes anerkannten Vorstellungen eine gegenüber früheren Zeiten unbefangenere und freiere Auffassung hinsichtlich sexueller Fragen durchgesetzt hat. Diese Wandlungen hat der Richter zu berücksichtigen (vgl. Senatsurt. v. 3. 2. 1966 in NJW 66, 1186, sog. Mansfield-Urteil). Auch ist ein „Glasglockenschutz” der Volkssittlichkeit ebensowenig richterliche Aufgabe wie die bloße Verteidigung des guten Geschmacks. Andererseits ist entgegen der Auffassung der StrK das Tatbestandsmerkmal des Unzüchtigen nicht erst dann erfüllt, wenn das maßgebliche sittliche Durchschnittsempfinden des heutigen Betrachters, Lesers oder Hörers gröblich verletzt wird. Entscheidend ist vielmehr, ob die vorausgesetzte Mehrheit der Zeitgenossen die in Frage kommenden Darstellungen und Darbietungen noch als alltäglich „normal” und damit als sittlich wertneutral empfindet oder nicht.

Eine von diesen Rechtsgrundsätzen ausgehende Würdigung der vorliegenden Liedertexte ergibt folgendes.

Das Lied „Mitten in der Nacht” bezieht sich auf den Geschlechtsverkehr, dessen Vollzug zwar nicht unmittelbar geschildert, aber – unter Tarnung vordergründig „harmloser” Vorgänge – in unmißverständlichen Andeutungen zum Ausdruck gebracht wird. Schon der Hinweis auf das „Bücken” in der ersten Strophe hat im Zusammenhang mit dem folgenden Text eine derartige Bedeutung, ebenso auch die Formulierung „Ach, laß‘ mich mal im Stehen … unter diesem Pflaumenbaum” in der zweiten Strophe. In der dritten und fünften Strophe drängt sich – anstelle der nicht reimenden Worte „küssen” und „Kuss” – jeweils ein anderer, zu den voranstehenden Worten reimlich passender Ausdruck auf, der den Geschlechtsverkehr ebenso vulgär wie abstoßend bezeichnet. Sexualbezogen ist offensichtlich auch der Hinweis auf die „kalte Brause” in der dritten Strophe.

In dem Lied „Die Adelheid” ist scheinbar von einer Tabakspfeife die Rede, die in Wirklichkeit jedoch ebenso unmißverständlich den männlichen Geschlechtsteil bezeichnen soll. Unter durchsichtigem verbalen Vorwand und in obszöner Weise werden der Geschlechtsverkehr sowie Manipulationen der Frau am männlichen Glied dargestellt.

Der unbefangene normale Leser und Hörer empfindet den Inhalt beider Lieder nicht lediglich als geschmacklos, sondern eindeutig als zotig. Sein Scham- und Anstandsgefühl wird dadurch verletzt, daß geschlechtliche Vorgänge, die das allgemein anerkannte Sittengesetz in die Verborgenheit der Intimsphäre verweist (vgl. hierzu Senatsurt. v. 29. 8. 1968 – [1] Ss 419/68), dritten Personen durch das Medium des Liedvortrags als Darbietung zugänglich gemacht werden. Dem Umstand, daß die Lieder möglicherweise zum Vortrag in Karnevalsveranstaltungen bestimmt waren, kommt in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu. Der Karneval gewährt Narrenfreiheit, aber nicht ein Ausnahmerecht, das unverdorbene sittliche Empfinden der Allgemeinheit zu verletzen.

Beide Lieder sind hiernach als objektiv unzüchtig i.S. des § 184 StGB zu betrachten.

Dieser Schlußfolgerung steht nicht entgegen, daß die Darstellung in Reimform gekleidet ist. Der Senat vertritt, soweit die Abgrenzung und Konflikte zwischen Kunst und Sittlichkeit in Frage stehen, seit jeher eine großzügige, am freiheitlichen Gehalt des GG orientierte Rechtsauffassung (vgl. insbes. Senatsurt. v. 16. 1. 1964 in NJW 64, 562). Jedoch genügt die Einkleidung in Verse für sich allein keineswegs, um einem Liedtext, dessen Inhalt unzüchtig ist, dieses Gepräge zu nehmen. Entscheidend ist vielmehr, ob eine künstlerische Form die Schilderung geschlechtlicher Vorgänge derart veredelt, durchgeistigt oder verklärt, daß eine Verletzung des Scham- und Sittlichkeitsgefühls vermieden wird (so, auch heute noch zutreffend: RGSt. 24, 365 und 56, 175). Davon kann hier nicht ernstlich die Rede sein.

Das angefochtene Urteil mußte hiernach aufgehoben werden. Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere StrK des LG zurückzuverweisen.

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