Fruchthäschen mit Nougatfüllung

Nein, es waren nicht die Rezepte für Wirsingrouladen (Nr. 07/2006) oder Fruchthäschen mit Nougatfüllung (Nr. 15/2006), die zur Indizierung der Fernsehzeitschrift rtv führten, sondern Telefonsexwerbung mit der Eignung, „Kinder und Jugendliche sozialethisch zu desorientieren und damit im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 JuSchG die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihrer Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gesellschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden.“ Meinte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Eine andere Ansicht hatte das Verwaltungsgericht Köln.

Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 30. November 2007  (Az. 27 K 4437/06):

Tenor

Die Entscheidung der Bundesprüfstelle vom 07.09.2006 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

Die Klägerin, ein Verlag mit Sitz in Nürnberg, wendet sich gegen die Eintragung von zwei Ausgaben des von ihr herausgegebenen Fernsehmagazins in die Liste der jugendgefährdenden Medien („Indizierung“). Das wöchentlich erscheinende Magazin hat eine Auflage von über 8 Millionen Exemplaren und wird von über 200 Tageszeitungen im gesamten Bundesgebiet kostenlos beigelegt. Ein Heft weist in der Regel einen Umfang von 40 bis 50 Seiten auf und enthält nach einem relativ kurzen redaktionellen Teil zum Thema Film und Fernsehen im Hauptteil das Fernsehprogramm für die jeweilige Woche. Daneben sind in dem Magazin ganz- oder halbseitige gewerbliche Anzeigen veröffentlicht, die sich überwiegend auf die Themen Gesundheit, Hilfsmittel für ältere Menschen, Reise und Vermögensanlage beziehen. Ferner erscheinen im Anzeigenteil unter der Rubrik „Werbung für Service 09005 Telefonkontakte“ regelmäßig eine Anzahl teils gewerblicher, teils privater Anzeigen, in denen unter der Angabe einer Telefonnummer für telefonische Sex-Gespräche geworben wird.

Auf den Antrag des Jugendamtes des Rems-Murr-Kreises vom 25. April 2006 beschloss die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (im Folgenden: Bundesprüfstelle) nach vorheriger Anhörung der Klägerin mit Entscheidung vom 07. September 2006 die Eintragung der Ausgaben Nr. 7 und 15 des Fernsehmagazins des Jahrgangs 2006 in Teil A der Liste der jugendgefährdenden Medien gemäß § 18 Abs. 1 Jugendschutzgesetz (JuSchG). In der Begründung wurde unter anderem ausgeführt: Der Inhalt der Magazine sei geeignet, Kinder und Jugendliche sozialethisch zu desorientieren und damit im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 JuSchG die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihrer Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gesellschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden. Der Inhalt der Fernsehmagazine sei teilweise unsittlich. Durch die Kontaktanzeigen werde eine Botschaft transportiert, die auch dem Pornographiebegriff von der Zielrichtung her immanent sei. Es werde der Eindruck erweckt, das menschliche Leben sei auf Sexualgenuss zentriert zu begreifen und sexuelle Betätigung und Befriedigung sei der allein menschliches Dasein beherrschende Wert. Dieser Eindruck verstärke sich insbesondere durch den Zweck der Anzeigen, der allein darin bestehe, losgelöst von zwischenmenschlichen Beziehungen zu maximaler sexueller Befriedigung zu kommen. Unsittlich seien auch solche Medien, deren Inhalte Frauen diskriminierten. Dies gelte namentlich für Medien, die ohne pornographisch zu sein, Frauen zum sexuellen Konsumartikel für den Mann oder zur Wegwerfware degradierten. Gerade durch die Anzeigen böten sich die Frauen den Männern als Ware feil, die diese entsprechend nutzen und dann wieder ablegen könnten. Die Anzeigentexte bedienten die gängigen Vorurteile, wonach „Ost-Frauen“ williger und tabuloser seien als die Frauen anderer Herkunft. Ebenso verhalte es sich mit den Anzeigen, die das Alter als besonderes Merkmal im Hinblick auf die sexuellen Qualitäten in den Vordergrund stellten. Die Verbindung der Kontaktanzeigen mit diesen Vorurteilen sei in erheblichem Maße dazu geeignet, Kinder und Jugendliche sozialethisch zu desorientieren, indem ihnen suggeriert werde, Merkmale wie die Herkunft oder das Alter von Frauen ließen Rückschlüsse auf deren sexuelle Qualitäten zu. Darstellungen wie diese führten dazu, dass männliche Jugendliche, insbesondere solche aus autoritär-patriarchalisch geprägtem Umfeld, den verachtenden Umgang mit Frauen noch weniger in Frage stellten oder in ihr eigenes Verhalten übernähmen. Die Darstellung von gerade volljährigen jungen Frauen als „verdorbene Göre“ vermittle den Eindruck, die Frauen seien bereits erfahren genug, um den Männern zu maximaler Lustbefriedigung zu verhelfen, andererseits aber auch noch aufgrund des Alters besonders ansprechend. Auch die Verbindung von hohem Alter mit einem besonderen Verlangen nach Sexualität [wie „Uralt (75) & noch scharf“] führe zu einer Frauen diskriminierenden Wirkung. Der Text vermittle den Eindruck, Frauen ab einem bestimmten Alter stünden für Männer bedingungslos zur Verfügung, da ihnen ohnehin keine Alternativen zur Verfügung stünden. Die Unsittlichkeit der Kontaktanzeigen ergebe sich insgesamt daraus, dass etliche der enthaltenen Texte eine große Spannweite von Handlungen mit ausgeprägten sexuellen Bezügen zum Gegenstand hätten, wie sie auch Gegenstand pornographischer Medien seien. Die Abbildungen enthielten zwar teilweise mehr oder weniger symbolische Andeutungen, stellten diese aber doch in einer durchaus plumpen und anschaulichen, auch für Kinder und Jugendliche weithin schon konkret deutbaren, jedenfalls in ihren Bezügen auf das Geschlechtliche erkennbaren Weise dar. Die Kontaktanzeigen suggerierten ein Bild der Ausschließlichkeit, Selbstverständlichkeit sowie Problem- und Bedenkenlosigkeit rascher sexueller Kontakte unter Wahrnehmung des anderen nur in dessen sexuellen Bezügen, mithin frei von einer Einbindung in die Person als ganze erfassende komplexere Sozialbeziehung. Dass die deutsche Medienlandschaft von vergleichbaren Darstellungen durchdrungen sei, lasse nicht den Schluss zu, sie seien gesellschaftlich akzeptiert und müssten daher im vorliegenden Zusammenhang hingenommen werden. Die Kontaktanzeigen verletzten heute noch bestehende Tabuzonen und Schamgrenzen und überschritten den Rahmen des allgemein sozial akzeptierten. Durch die Kontaktanzeigen bestehe mithin eine Jugendgefährdung mittleren Grades. Bei der Abwägung mit dem Grundrecht der Pressefreiheit überwiege deshalb der Jugendschutz, da bei der Veröffentlichung der Kontaktanzeigen kommerzielle Gründe im Vordergrund stünden und damit durch die Verbreitung der Anzeigen nicht überwiegend der eigentliche Kernbereich des Grundrechts der Pressefreiheit betroffen sei. Demgegenüber seien durch die Anzeigen aber erhebliche Eingriffe in die ungestörte Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen gegeben. Aufgrund der fehlenden Vergleichbarkeit der zu überprüfenden Texte und der damit verbundenen Lebenssachverhalte könne aus der Nichtindizierung von anderen Medien kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz abgeleitet werden. Ein Fall geringer Bedeutung liege angesichts einer Auflage von 8 Millionen nicht vor.

Die Entscheidung wurde im Bundesanzeiger bekannt gemacht und der Klägerin am 06. Oktober 2006 zugestellt.

Mit ihrer am 10. Oktober 2006 erhobenen Klage hat die Klägerin im Wesentlichen geltend gemacht: Die Voraussetzungen für eine Indizierung der Magazine gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 JuSchG seien nicht erfüllt. Die beanstandeten Anzeigen könnten nicht als unsittlich angesehen werden. Sie seien weder nach Inhalt noch Ausdruck geeignet, das Scham- und Sittlichkeitsgefühl gröblich zu verletzen. Bildliche Darstellungen sexuell-erotischer Natur seien in den Anzeigen nicht enthalten. Die verwendeten Ausdrücke seinen weder ordinär noch sexuell oder erotisch. In keiner der Anzeigen würden direkt oder indirekt irgendwelche sexuellen Praktiken benannt oder gar nähere Ausführungen hierzu gemacht. Zudem werde in den Anzeigen weder die Prostitution noch die Promiskuität verherrlicht oder verharmlost. Der Inhalt der Anzeigen sei auch nicht frauenverachtend. Insbesondere sei von der Bundesprüfstelle nicht nachvollziehbar begründet, warum die Verbindung von hohem Alter mit einem besonderen Verlangen nach Sexualität zu einer frauendiskriminierenden Wirkung führen solle. Auch fänden sich inhaltlich keine Anhaltspunkte dafür, dass allein durch die Anzeige auf eine Steigerung sexuellen Lebensgefühls unter Ausklammerung aller menschlichen Bezüge abgezielt und damit eine der Pornographie artverwandte Inhalts- und Botschaftsebene bewirkt werden solle. Unabhängig davon könne nicht davon ausgegangen werden, dass allein von der Lektüre der Anzeigen eine sittliche Gefährdung oder die Gefahr einer Fehlentwicklung von Kindern und Jugendlichen ausgehe. Angesichts des in der Gesellschaft verbreiteten Maßstabs bezüglich der Frage, was als sittlich verwerflich und jugendgefährdend anzusehen ist, sei nicht zu erkennen, weshalb der in dem Fernsehmagazin enthaltene Anzeigenteil über das hinausgehe, womit Kinder und Jugendliche heutzutage üblicherweise tagtäglich konfrontiert würden. In sämtlichen Zeitungen, Zeitungsbeilagen, Zeitschriften, im Internet sowie in TV-Sendungen und auf den Videotextseiten der verschiedenen TV-Sender fänden sich Anzeigen mit identischen und teilweise auch wesentlich drastischeren Inhalten. Abgesehen davon verbiete das Übermaßverbot, die Magazine als Ganzes zu indizieren, da die Telefonsex-Anzeigen im Verhältnis zum Gesamtinhalt der Magazine nur einen verschwindend geringen Teil ausmachten. Jedenfalls liege ein Fall von geringer Bedeutung im Sinne von § 18 Abs. 4 JuSchG vor, da es sich um ein Fernsehwochenmagazin handele, das nicht neu aufgelegt werde. Eine Weiterverbreitung sei ausgeschlossen, da davon auszugehen sei, dass das Magazin nach Ablauf des Sendezeitraums entsorgt werde. Ein darüber hinausgehendes Interesse der Leser an der Aufbewahrung der (kostenlosen) Zeitschrift sei nicht ersichtlich. Die Indizierung der Magazine verstoße mithin insgesamt gegen die grundgesetzlich geschützte Pressefreiheit und den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

Die Klägerin beantragt,

die Entscheidung der Bundesprüfstelle vom 07. September 2006 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt zur Begründung Bezug auf den Inhalt des angegriffenen Bescheides und verteidigt ihre Auffassung, dass die Massivität und der frauenverachtende Inhalt der Werbetexte zu einer sozialethischen Desorientierung von Kindern und Jugendlichen führen können. Diese Gefährdung werde durch die Platzierung der Anzeigen unmittelbar neben Fernsehprogrammen, die von Kindern und Jugendlichen besonders beachtet würden, verstärkt. Diese kinderaffine Platzierung in Verbindung mit den massiv jugendgefährdenden Werbetexten mache eine nähere empirische Untersuchung über die Wirkungsweise der Texte auf Kinder und Jugendliche entbehrlich. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass vergleichbare Kleinanzeigen in Tageszeitungen gerade nicht in einem kinderaffinen redaktionellen Umfeld platziert seien. Abgesehen davon gebiete es der staatliche Erziehungsauftrag, hier zu intervenieren und durch die Indizierung zu verhindern, dass sich dieser als unsittlich zu wertende Sprachgebrauch in den Anzeigen etabliere. Insbesondere sei es die Aufgabe der Bundesprüfstelle, Mädchen davor zu bewahren, dass sich die Sichtweise von der Frau, wie sie in den verfahrensgegenständlichen Kleinanzeigen vermittelt werde, auf diese übertrage.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig und begründet.

Die Entscheidung der Bundesprüfstelle vom 07. September 2006 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Sie ist daher aufzuheben.

Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 JuSchG sind Träger- und Telemedien, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden, in eine Liste jugendgefährdender Medien aufzunehmen. Zu den jugendgefährdenden Medien zählen gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 JuSchG vor allem unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizende Medien. Darüberhinaus können nach der Spruchpraxis der Bundesprüfstelle, die die Billigung der Rechtsprechung gefunden hat, auch Medien, die geeignet sind, Kinder und Jugendliche sozialethisch zu desorientieren, jugendgefährdend sein. Hierzu zählen beispielsweise Medien mit die Menschenwürde verletzendem Inhalt, etwa weil sie Menschen zu bloßen Sexualobjekten degradieren.

Vgl. Scholz/Liesching, Jugendschutz, Kommentar, 4. Auflage, 2004, Rz 25 zu § 18 JuSchG.

Die in § 18 Abs. 1 Satz 2 JuSchG genannten Beispiele lassen erkennen, dass eine Indizierung erst bei einem deutlichen Gefährdungsgrad und einer erheblichen Intensität der Gefahr in Betracht kommen soll.

BVerfG, Urteil vom 11. Januar 1994 – 1 BvR – 434/87 -, BVerfGE, 90 , 1 <17>.

Die Beurteilung der Jugendgefährdung und deren Gewichtung unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung, wobei allerdings die der Indizierungsentscheidung zugrunde liegenden Erwägungen der Bundesprüfstelle als sachverständige Aussagen zu begreifen sind, die im Verwaltungsprozess wirksam in Frage zu stellen denselben Aufwand erfordert, der notwendig ist, um die Tragfähigkeit fachgutachtlicher Stellungnahmen zu erschüttern.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 28. August 1996 – 6 C 15.94 -, NJW 1997, 602 und vom 26. November 1992 – 7 C 20.92 -, BVerwGE 91,211 <216>.

Für die Einschätzung und Gewichtung der Jugendgefährdung durch die Bundesprüfstelle gelten demnach dieselben Maßstäbe wie für die Verwertbarkeit eines Sachverständigengutachtens.

Vgl. zu diesen Maßstäben BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 1992 – 4 B 1-11.92 -, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 89.

Hiervon ausgehend ist nach Auffassung der Kammer bereits fraglich, ob die Begründung der Indizierungsentscheidung die Wertung der Telefonsex-Anzeigen als jugendgefährdend trägt. Zwar ist der Ausgangspunkt der Bundesprüfstelle nicht zu beanstanden, dass ein Gefährdungspotential insbesondere dann zu bejahen ist, wenn Kinder oder Jugendliche durch unsittliche Inhalte eines Mediums sozialethisch desorientiert werden können. Da Kinder und Jugendliche ihre Sexualität entwickeln müssen, dabei auf Orientierungspunkte zurückgreifen und somit durch äußere Einflüsse steuerbar sind, kann all jenen Medien eine jugendgefährdende Wirkung zuzusprechen sein, deren Inhalt gesellschaftlich anerkannten sittlichen Normen eklatant zuwiderläuft. Denn mit dem Begriff der Gefährdung verlangt § 18 Abs. 1 Satz 1 JuSchG keine konkrete oder gar nachweisbare Wirkung im Einzelfall; eine Gefährdung ist vielmehr schon dann zu bejahen, wenn eine nicht zu vernachlässigende Wahrscheinlichkeit angenommen werden darf, dass überhaupt Kinder und Jugendliche durch die dargestellten Inhalte beeinflusst werden können.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. November 2003 – 20 A 5599/98 – zum vergleichbaren § 1 Abs. 1 S. 1 GjSM, nachgewiesen bei juris.

Gemessen hieran ist aber zweifelhaft, ob von den in der Indizierungsentscheidung beanstandeten Werbeanzeigen für Telefonsex eine Jugendgefährdung ausgeht. Insbesondere lässt sich entgegen den tragenden Erwägungen der Bundesprüfstelle den Anzeigen weder nach ihrer visuellen Gestaltung noch nach ihrem Textinhalt mit nennenswertem Gewicht entnehmen, dass darin Promiskuität, Gruppensex oder Prostitution verherrlicht und Menschen als jederzeit verfügbare Lust- und Sexualobjekte präsentiert werden. Keine der publizierten Anzeigen enthält Fotos oder sonstige bildliche Darstellungen mit erotischen bzw. sexuellen Motiven. Ebenfalls werden in den Anzeigen weder direkt noch indirekt irgendwelche sexuellen Praktiken benannt oder näher beschrieben. Vielmehr bleibt es überwiegend bei symbolischen Andeutungen zum Wort Sex (z. B. „Purer XXX!“; „Parkplatzxxx“; „LIVE GAY XXX“; „Live Sxx“). Auch die sonstige Wortwahl überschreitet nicht die Grenze zum Obszönen und enthält keine entwürdigenden Darstellungen. Die Verwendung der Worte wie „scharf“, „verdorben“ und „fremdgehen“ verletzt auch im vorhandenen Kontext bestehende Tabuzonen und Schamgrenzen nicht. Letztlich ist auch die tragende Erwägung der Indizierungsentscheidung nicht überzeugend, Aussagen wie „Verdorbene Teeni-Göre 18 Jahre“, „Oma (68) braucht ES noch täglich“ oder „Heißes Vergnügen mit tabulosen Ost-Frauen“ oder „Scharfe Ost-Girls! Immer bereit!“ vermittelten dem gefährdeten Jugendlichen die Botschaft, Frauen und insbesondere Frauen bestimmter Herkunft und bestimmten Alters seien bloße sexuelle Konsumartikel für den Mann, und suggerierten den Jugendlichen die Problem- und Bedenkenlosigkeit rascher sexueller Kontakte unter Ausklammerung aller sonstigen persönlichen und sozialen Bezüge. Zum einen wird in der Indizierungsentscheidung nicht die Besonderheit in den Blick genommen, dass bei der Werbung für Telefonsex in der Regel das entwürdigende Element fehlt, das den Anbieter der entgeltlichen Leistung zur bloßen Ware macht. Anders als bei der Prostitution oder auch einer Peep-Show findet bei Telefonsex ein körperlicher oder auch nur visueller Kontakt nicht statt. Vielmehr wird die Sexualität nur verbal vorgespiegelt und bedarf der Umsetzung und der Phantasie des Kunden. Durch die Beschränkung auf den akustischen Kontakt bestehen ausreichend Fluchträume für den Anbieter bei entwürdigenden Gesprächen. Durch die Anonymität bleibt die Intimität des Anbieters im Wesentlichen gewahrt. Von daher besteht für den Jugendlichen bei der Telefonsexwerbung – anders als bei sonstigen Sex-Anzeigen – bloß ein mittelbarer Realitätsbezug. Zum anderen sind bei der Bewertung der Jugendgefährdung der Telefonsexwerbung auch die in den letzten Jahren geänderten gesellschaftlichen Anschauungen hinsichtlich der Sexualmoral zu berücksichtigen. Der Wandel der Moralvorstellungen ist gerade in letzter Zeit u. a. mit dem am 01. Januar 2002 in Kraft getretenen Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten deutlich geworden. Vor diesem Hintergrund werden in der jüngeren zivilgerichtlichen Rechtsprechung Verträge über Telefonsexgespräche und über Werbeanzeigen für Telefonsex auch unter Berücksichtigung der Gründe des Jugendschutzes nicht generell als sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB angesehen.

Vgl. OLG Köln, Urteil vom 15. September 2000 – 20 U 51/00 -; OLG Hamm, Urteil vom 21. März 1995 – 4 U 195/94 -; LG Koblenz, Urteil vom 27. Juli 2001 – 6 S 156/00 B; AG Köpenick, Urteil vom 30. Juli 2003 – 6 C 190/03 – jeweils nachgewiesen bei juris; diese Frage offengelassen, aber in diese Richtung deutend: BGH, Urteil vom 22. November 2001 – III ZR 5/01 -, NJW 2002, 361.

Von daher bestehen schon Zweifel, ob die indizierten Anzeigen auch heute noch bestehende Tabuzonen und Schamgrenzen verletzen und den Rahmen des allgemein sozial akzeptierten Überschreiten.

Die Frage, ob eine Jugendgefährdung dem Grunde nach bejaht werden kann, bedarf aber keiner abschließenden Klärung. Denn jedenfalls ist der Einschätzung eines „mittleren“ Grades der Jugendgefährdung (S. 10 der Indizierungsentscheidung) nicht zuzustimmen. Das Gericht, das sich wegen der Grundrechtsrelevanz der Indizierungsentscheidung auch hinsichtlich des Gefährdungsgrades eine Überzeugung zu bilden hat,

vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. November 1990 – 1 BvR 402/87 -, BVerfGE 83, 130 <145 und 147>,

vermag aufgrund der vorstehenden Ausführungen allenfalls eine Gefährdung im unteren Bereich festzustellen. Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich auch aus der Platzierung der Anzeigen neben dem Fernsehprogramm eines Senders, der für Kinder und Jugendliche besonders attraktiv ist (Super RTL), keine gesteigerte Jugendgefährdung ableiten. Gegen diese Schlussfolgerung spricht bereits die zurückgenommene graphische Darstellung der Anzeigen (schwarz/weiß, nur Text) im Vergleich zu der optisch auffallenderen Darstellung des Fernsehteils mit farbigen Fotos. Zudem ist der Fernsehprogrammteil gegenüber dem Anzeigenteil optisch deutlich durch einen farbigen Balken abgesetzt. Es liegt daher nicht nahe, dass der Blick des Jugendlichen besonders auf den Anzeigenteil gelenkt wird. Es kommt hinzu, dass der redaktionelle Teil des Magazins und die darin enthaltene Werbung sich nicht gezielt an Kinder und Jugendliche, sondern eindeutig an Erwachsene und hier insbesondere ältere Menschen richten. Auch quantitativ tritt die Werbung für die Telefonsex-Kontakte (weniger als eine halbe Magazinseite) deutlich hinter die sonstigen redaktionellen Beiträge und Werbeanzeigen zurück. Von daher ist die von der Bundesprüfstelle behauptete kinderaffine Platzierung der Anzeigen nicht nachvollziehbar. Soweit die Beklagte zur Unterstützung ihres Argumentes vorbringt, dass vergleichbare Kleinanzeigen für Sex- und Telefonsexkontakte in Tageszeitungen gerade nicht in einem kinderaffinen Umfeld platziert werden, ist dies nicht haltbar. Abgesehen davon, dass dieses pauschale Argument die fehlende Jugendaffinität im vorliegenden Fall nicht entkräften kann, hat bereits die exemplarisch zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachte Ausgabe der Tageszeitung Kölner Express von Mittwoch dem 28. November 2007 gezeigt, dass sich dort in optischer und sprachlicher Gestaltung wesentlich eindeutigere Sex-Anzeigen in der Nähe von jugendaffinen Informationen, nämlich einer Anzeige für ein Rock-Konzert der Gruppe Bon Jovi befinden.

Eine Indizierung der streitigen Fernsehmagazine aufgrund einer nur geringen Jugendgefährdung steht Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG entgegen. Das Grundrecht der Pressefreiheit umfasst nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch den Anzeigenteil von Presseerzeugnissen. Wenn die Presse ihren Lesern Anzeigen, ebenso wie Nachrichten oder Leserbriefe im redaktionellen Teil ohne eigene Stellungnahme zur Kenntnis bringt und die Leser auf diese Weise über die in den Anzeigen enthaltenen wirtschaftlichen Möglichkeiten oder die in ihnen zum Ausdruck gebrachten Meinungen informiert, so gehört dies zu den herkömmlichen und typischen Presseaufgaben.

Vgl. BverfG, Beschluss vom 04. April 1967 – 1 BvR 414/64-, BVerfGE 21, 271 <278 f.>.

Der Anzeigenteil hat ebenso wie der redaktionelle Teil Bedeutung für die Kommunikationsaufgabe der Presse sowie für die Erhaltung ihrer wirtschaftlichen Basis.

Das Grundrecht der Pressefreiheit wird wie alle Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG nicht schrankenlos gewährleistet, sondern findet gemäß Art. 5 Abs. 2 GG seine Schranken u. a. in den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend. Das hat nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Folge, dass Behörden und Gerichte eine fallbezogene Abwägung zwischen dem mit der Indizierung verfolgten Zweck des Jugendschutzes und dem Gewicht des Eingriffs in die Pressefreiheit vorzunehmen haben.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 1994 – 1 BvR 434/87 -, BVerfGE 90, 1 <21> zur Meinungsfreiheit.

Dass die Bundesprüfstelle vorliegend ihrer vorgenommenen Abwägung einen unzutreffenden („mittleren“) Grad der Jugendgefährung zugrunde gelegt hat, führt allerdings noch nicht zur Aufhebung der Indizierungsentscheidung. Denn der in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für Konflikte des Jugendschutzes mit der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG entwickelte Entscheidungsvorrang der Bundesprüfstelle ist auf Konflikte mit Verfassungsgütern des Art. 5 Abs. 1 GG nicht zu übertragen. Vielmehr ist das erkennende Gericht befugt und verpflichtet, die Abwägung selbst vorzunehmen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. November 2003 – 20 A 1524/03 und 20 A 1525/03 -.

Nach diesen Vorgaben fallen die Belange des Jugendschutzes vorliegend nicht derart ins Gewicht, dass das Grundrecht der Pressefreiheit zurücktreten müsste. Wie zuvor ausgeführt ist, ist der Jugendschutz durch die in Rede stehenden Anzeigen nur auf einer sehr geringfügigen Stufe betroffen. Außerdem kann der mit der Indizierung verfolgte Zweck nicht sinnhaft erreicht werden, da gleichzeitig vergleichbare oder in sprachlicher und visueller Hinsicht wesentlich deutlichere Sex-Anzeigen in den Tageszeitungen und anderen Printmedien veröffentlicht werden. Demgegenüber steht ein beachtliches Interesse der Klägerin, durch die Einnahme aus den Anzeigen einen Teil ihrer wirtschaftlichen Basis zu sichern. Dies gilt hier besonders, da es sich um eine kostenlose Beilage handelt, die sich im Wesentlichen aus dem Anzeigengeschäft finanziert.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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