Archiv für den Monat: Oktober 2015

Anna Obsessed

Bundesanzeiger vom 30. Oktober 2015, Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (Nr. 11/2015):

Anna Obsessed, Video-Film Leasing GmbH, München, indiziert durch Entscheidung Nr.4007 (V) vom 2. November 1990, bekannt gemacht im Bundesanzeiger Nr.222 vom 30. November 1990.

Der Videofilm wird aus der Liste der jugendgefährdenden Medien gestrichen.

Entscheidung Nr. A 310/15 vom 20. Oktober 2015 (Pr.756/15).

Keine 21 Orgasmen

Vor dem Landgericht Düsseldorf stritten diese Woche zwei Kondomhersteller über eine werberechtliche Frage. Ist der Spruch „1 Tüte à 7 Stück entspricht bis zu 21 Orgasmen“ auf der Verpackungsrückseite erlaubt?  Das Berliner StartUp Einhorn hatte dafür eine einstweilige Verfügung kassiert, aber wollte sich damit nicht abfinden. Die Angaben seien „von vorneherein nur dazu geeignet, satirisch verstanden zu werden“. Sie richteten sich an eine junge Käuferschaft, die Spaß verstehe. „Kann Spuren von Feenstaub enthalten“, stehe ebenfalls auf der Verpackung. Weniger Spaß verstand das Gericht. Der Spruch könne zum männlichen Mehrfachgebrauch verleiten. Kondome seien Medizinprodukte, es gehe um Schwangerschaftsverhütung und den Schutz vor gefährlichen Geschlechtskrankheiten, also um erhebliche Risiken. Das Urteil soll am 26. November 2015 verkündet werden. Einhorn ist dennoch bereits dabei, das juristische Duell in bare Münze zu verwandeln. Im Online-Shop wird seit Dienstag angepriesen: „Das Orgasmuspaket – bekannt aus dem Gerichtssaal.“

orgasmuspaket

BVerwG zu Peepshows (1990)

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Januar 1990 (Az: 1 C 26/87):

Leitsatz:

Zum Begriff der guten Sitten (§ 33 a Abs. 2 Nr. 2 GewO).

Die Erlaubnis zum Betrieb einer sog. Peep-Show verstößt selbst dann gegen die guten Sitten und ist daher nichtig, wenn er in einem sog. Vergnügungsviertel liegt.

Tatbestand:

Die Beklagte erteilte der Klägerin mit Bescheid vom 31. Juli 1981 nach § 33 a GewO die Erlaubnis, Schaustellungen von Personen in der Peep-Show R. 40 in einem 61,30 qm großen Raum mit acht Kabinen öffentlich zu veranstalten. Die Erlaubnis enthielt u.a. den Hinweis, daß die Veranstaltungen den Gesetzen und den guten Sitten nicht zuwiderlaufen dürften.

Mit Bescheid vom 1. Dezember 1981 erteilte die Beklagte der Klägerin ferner die Erlaubnis, Schaustellungen von Personen in der Peep-Show R. 31 -35 in einem 70 qm großen Raum mit zehn Kabinen öffentlich zu veranstalten.

Schließlich erhielt die Klägerin eine Erlaubnis für Peep-Show- Veranstaltungen in dem Betrieb R. 61.

Mit Bescheid vom 16. Mai 1983 stellte die Beklagte gemäß § 44 Abs. 5 des Hamburgischen Verwaltungsverfahrensgesetzes – VwVfG – vom 9. November 1977 (GVBl. S. 333) fest, daß alle drei Erlaubnisse nichtig und unwirksam seien (§§ 44 Abs. 2 Nr. 6, 43 Abs. 3 VwVfG), weil der Betrieb einer Peep-Show gegen die guten Sitten verstoße. Die Klägerin wurde unter Hinweis auf § 15 Abs. 2 GewO aufgefordert, den Betrieb bis zum 31. Dezember 1983 einzustellen. Zur Begründung verwies die Beklagte auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 1981 (BVerwGE 64, 274).

Nach erfolglosem Widerspruch hat die Klägerin Anfechtungsklage erhoben und beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 1983 und den Widerspruchsbescheid vom 28. Dezember 1983 aufzuheben, soweit sie die Peep-Show-Betriebe R. 31 – 35 und 40 betreffen. Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben.

Durch Urteil vom 16. Dezember 1986 hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat u.a. ausgeführt: Die Menschenwürde der in der Peep-Show auftretenden Frauen werde nicht verletzt. Die durch die Menschenwürde gewährleistete Freiheit zur Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung schließe die Freiheit des einzelnen ein, sein Leben in bestimmter Weise zu führen und sich gegenüber anderen Personen und in der Öffentlichkeit in bestimmter Weise darzustellen. Schranken der Beachtlichkeit der Willensentscheidung könnten sich nicht aus einem – im Grundgesetz nicht festgelegten – Leitbild der Menschenwürde ergeben, wohl aber aus Zweck und Funktion des Grundrechts. Die Achtung der Menschenwürde gewährleiste nicht die Freiheit der Selbstzerstörung der Persönlichkeit oder der Zerstörung des Zusammenlebens der Grundrechtsträger. Die Willensentscheidung von Frauen, in einer Peep- Show aufzutreten, ziele indessen weder auf eine Selbstzerstörung noch auf einen für das geordnete und friedliche Zusammenleben in der Gemeinschaft unerträglichen Zustand. Der hier streitige Peep-Show-Betrieb laufe auch nicht aus anderen Gründen den guten Sitten zuwider. Die Tätigkeit in der Peep-Show sei, da ein Schutz gegen körperliche Kontakte bestehe, im Unterschied zur Prostitution nicht entwürdigend. In dem streitigen Peep-Show-Betrieb sei – anders als in dem vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 64, 274) beschriebenen Fall – beidseitiger Blickkontakt gegeben. Die Darstellerin könne nicht nur den Ablauf der Vorführung selbst gestalten, sie habe vielmehr – ähnlich wie eine Stripteasedarstellerin – auch die Möglichkeit zu beobachten, wie ihre Vorführung aufgenommen werde. Hinzu komme, daß der Peep- Show-Betrieb im Hamburger Vergnügungsviertel liege. Die gesamte „Unterhaltung“ in diesem Bereich sei auf eine grobe sexuelle Stimulierung gerichtet. In diesem als gegeben hingenommenen Umfeld falle der Peep-Show-Betrieb in bezug auf sexuelle Freizügigkeit nicht auf. Berücksichtige man außerdem, daß das Bundesverwaltungsgericht die öffentliche Vorführung von Pornofilmen nicht als sittenwidrig bewerte, so lasse sich auch hier ein Verstoß gegen die guten Sitten nicht annehmen. Die Bevölkerung sei darauf eingestellt und erwarte, daß das, was sonst als sittlich oder moralisch unschicklich, anstößig oder gar ungehörig angesehen werde, im Vergnügungsviertel freier und großzügiger betrachtet und gehandhabt werde. Peep-Show-Betriebe würden zwar als etwas Anrüchiges und sittlich-moralisch Zweifelhaftes angesehen und für den normalen Alltag abgelehnt, seien jedoch nicht mit einem absoluten sozialethischen Unwerturteil der Gemeinschaft im Sinne eines auch im Vergnügungsmilieu nicht tolerierbaren Verstoßes gegen die guten Sitten behaftet. Das gelte um so mehr, als dieses Milieu von einem beachtlichen Teil der Bevölkerung gelegentlich aufgesucht werde.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten. Sie hält die im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 1981 entwickelten Grundsätze für zutreffend, den Peep-Show-Betrieb der Klägerin daher für sittenwidrig und die erteilten Erlaubnisse für nichtig. Sie beantragt, das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 1986 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 28. Mai 1985 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Gründe:

Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt revisibles Recht. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig. Das gilt sowohl für die behördliche Feststellung, die erteilten Peep-Show-Erlaubnisse seien unwirksam (1), als auch für die Anordnung, den Peep-Show-Betrieb einzustellen (2).

1. Nach § 44 Abs. 2 Nr. 6 VwVfG ist ein Verwaltungsakt, der gegen die guten Sitten verstößt, nichtig und mithin unwirksam (§ 43 Abs. 3 VwVfG), auch wenn der Fehler nicht offenkundig ist. Die Behörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen (§ 44 Abs. 5 VwVfG). Nach diesen Vorschriften ist die angefochtene Nichtigkeitsfeststellung gerechtfertigt, denn die der Klägerin erteilten Erlaubnisse verstoßen gegen die guten Sitten.

a) Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, es sei „nicht angängig“, die Nichtigkeitsfolge selbst dann eingreifen zu lassen, wenn die Behörde wie hier bei der Erlaubniserteilung den Sittenverstoß nicht erkannt und der Erlaubnisinhaber im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der Erlaubnis Investitionen getätigt habe. Das Berufungsgericht hält in solchen Fällen die Anwendung der Rücknahmevorschrift des § 48 VwVfG für angemessen. Eine solche Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 44 Abs. 2 Nr. 6 VwVfG widerspricht jedoch dem eindeutigen Gesetzeswortlaut. Verfassungsrechtlich ist die in § 44 Abs. 2 Nr. 6 VwVfG festgelegte Nichtigkeitsfolge auch für Fälle nicht evidenter Sittenwidrigkeit unbedenklich. Sie verstößt insbesondere nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Sittenwidrigkeit eines Verwaltungsakts ist ein so schwerwiegender Fehler, daß es dem Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen verwehrt ist, daran die Nichtigkeitsfolge zu knüpfen. Ist der Verwaltungsakt aber wegen Sittenwidrigkeit nichtig, so muß auch eine diese Rechtstatsache zum Ausdruck bringende behördliche Feststellung der Nichtigkeit gemäß § 44 Abs. 5 VwVfG zulässig sein. Dem Gedanken des Vertrauensschutzes kann in Fällen der vorliegenden Art im Rahmen der noch zu erörternden Einstellungsverfügung nach § 15 Abs. 2 GewO Rechnung getragen werden.

b) Wie der Senat bereits mehrfach ausgesprochen hat, verstößt ein Verwaltungsakt nicht nur dann gegen die guten Sitten, wenn er etwas Sittenwidriges a n o r d n e t , sondern auch dann, wenn er etwas erlaubt, was wegen seiner Sittenwidrigkeit nicht erlaubnisfähig ist (vgl. z.B. Beschluß vom 11. Februar 1987 – BVerwG 1 B 129.86 – Buchholz 451.20 § 33 a GewO Nr. 6 = GewArch 1987, 297). So verhält es sich bei den der Klägerin erteilten Erlaubnissen. Sie gestatten „Schaustellungen von Personen in der Peep-Show“ in den näher bezeichneten, mit „Kabinen“ ausgestatteten Räumen der Klägerin. Die Erwähnung der „Kabinen“ bestätigt, daß die Erlaubnisse sich auf Peep-Show-Veranstaltungen im gängigen Sinne dieses Begriffs beziehen, wie sie die Klägerin nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auch tatsächlich durchführt, nämlich auf Veranstaltungen, bei denen der Kunde gegen Entgelt für eine gewisse Zeitspanne Gelegenheit hat, von einer – nicht voll einsehbaren – Einzelkabine aus eine zum Zwecke sexueller Stimulation sich nackt zur Schau stellende Frau zu beobachten. Wer – wie die Klägerin – solche Schaustellungen gewerbsmäßig veranstalten will, bedarf nach § 33 a Abs. 1 GewO einer Erlaubnis; die Erlaubnis ist aber nach § 33 a Abs. 2 Nr. 2 GewO zu versagen, „wenn zu erwarten ist, daß die Schaustellungen den guten Sitten zuwiderlaufen werden“. Diese Voraussetzung ist erfüllt: Die Peep-Show-Veranstaltungen der Klägerin waren und sind nicht erlaubnisfähig, weil von vornherein zu erwarten war, daß sie – wie noch auszuführen ist – gegen die guten Sitten verstoßen.

Daran ändert nichts der Umstand, daß die der Klägerin erteilten Erlaubnisse den seiner Natur nach unverbindlichen „Hinweis“ enthalten, die Veranstaltungen dürften n i c h t gegen die guten Sitten verstoßen. Dieser Hinweis steht im Widerspruch zur Erlaubnis selbst und läuft deshalb leer. Er beruht auf der damaligen irrigen Vorstellung der Behörde, die der Klägerin erlaubten Peep-Show-Veranstaltungen üblicher Prägung seien nicht ohne weiteres, sondern nur dann sittenwidrig, wenn besondere Umstände hinzuträten. Nicht entscheidungserheblich ist auch die Erwägung des Berufungsgerichts, zumindest in einer modifizierten, dem herkömmlichen Striptease angenäherten Form könnten Peep-Show-Veranstaltungen erlaubnisfähig sein. Es kommt im Rahmen der Anfechtungsklage gegen die behördliche Nichtigkeitsfeststellung nur darauf an, ob die Erlaubnisse so, wie sie der Klägerin gemäß ihrem Antrag erteilt worden sind, nichtig sind. Dies ist, wie erwähnt, der Fall, weil die durch diese Erlaubnisse gestatteten, im Berufungsurteil näher beschriebenen Peep-Show-Veranstaltungen der Klägerin den guten Sitten zuwiderlaufen.

c) Der Senat hat in seinem Urteil vom 15. Dezember 1981 (BVerwGE 64, 274) die Sittenwidrigkeit üblicher Peep-Shows daraus hergeleitet, daß den zur Schau gestellten Frauen eine ihre Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) mißachtende objekthafte Rolle zugewiesen ist: Die Frauen werden – so hat der Senat die Umstände der Veranstaltung in ihrer Gesamtheit gewürdigt – durch den Veranstalter den in Einzelkabinen befindlichen Zuschauern wie eine der sexuellen Stimulierung dienende Sache zur entgeltlichen Betrachtung dargeboten. Das Berufungsgericht und ein Teil des Schrifttums haben der Ansicht, Peep-Show-Veranstaltungen seien mit der Verfassungsentscheidung für die Menschenwürde unvereinbar, widersprochen. Das Berufungsgericht hat zudem darauf hingewiesen, daß sich die hier zu beurteilenden Veranstaltungen von denen, die im Urteil vom 15. Dezember 1981 beurteilt worden sind, in einigen Einzelheiten unterscheiden. Dies bedarf jedoch keiner näheren Erörterung. Nach Auffassung des erkennenden Senats sind die Peep-Show-Veranstaltungen der Klägerin unabhängig von der genannten Wertentscheidung des Grundgesetzes sittenwidrig.

d) Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. BVerwGE 64, 280 ; 71, 29 ; 71, 34 ) ist der Begriff der guten Sitten ein unbestimmter, ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriff, dessen Anwendung in vollem Umfang gerichtlicher Nachprüfung unterliegt. Mit ihm verweist das Gesetz auf die dem geschichtlichen Wandel unterworfenen sozialethischen Wertvorstellungen, die in der Rechtsgemeinschaft als Ordnungsvoraussetzungen anerkannt sind. Abzuheben ist also nicht auf das Empfinden von kleinen Minderheiten. Andererseits ist nicht erforderlich – und praktisch auch so gut wie ausgeschlossen -, daß die Wertvorstellung von sämtlichen Mitgliedern der Rechtsgemeinschaft getragen wird. Maßgeblich ist vielmehr die vorherrschende sozialethische Überzeugung. Diese muß sich weder – etwa in öffentlichen Protesten – lautstark äußern, noch muß sie mit der Forderung einhergehen, die dem sozialethischen Unwerturteil unterliegenden Erscheinungen niemals und nirgends zu dulden. Auch wenn die Rechtsgemeinschaft ein bestimmtes Geschehen sozialethisch mißbilligt und somit als Verstoß gegen die guten Sitten ansieht, kann sie Gründe haben, das Geschehen in gewissen Grenzen hinzunehmen.

Für die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit einer Peep-Show mit den guten Sitten kommt es daher entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht darauf an, daß die Frauen dort freiwillig tätig sind, ihre Tätigkeit nicht als entwürdigend empfinden und daß ihr Auftreten „deutlich weniger geeignet ist, sie in der Achtung durch die Gemeinschaft und in ihrer Selbstachtung zu beeinträchtigen sowie sie in ihrer Persönlichkeit negativ zu prägen, als dies etwa bei der Prostitution anzunehmen ist“. Nicht entscheidend ist auch die vom Berufungsgericht hervorgehobene Tatsache, daß Peep-Shows von einem Teil der Bevölkerung gelegentlich aufgesucht werden. Diese Umstände bedeuten nicht einmal notwendig, daß die Darstellerinnen und die Besucher die Veranstaltungen als sittlich einwandfrei bewerten, und sie besagen vor allem nichts über die in der Allgemeinheit herrschende Überzeugung.

Als Indizien für eine in der Rechtsgemeinschaft vorherrschende Überzeugung kommen u.a. die Behördenpraxis, die Rechtsprechung und die von ihnen ausgelösten Reaktionen der Öffentlichkeit in Betracht. Hinsichtlich der Peep-Show sind diese Indizien allerdings nur bedingt aussagekräftig, weil sie von dem Senatsurteil vom 15. Dezember 1981 beeinflußt sind und daher nicht ohne weiteres als z u s ä t z l i c h e Anhaltspunkte gelten können. Mit diesem Vorbehalt ist festzustellen, daß die behördliche Praxis die durch das Urteil von 1981 eröffnete Möglichkeit, gegen Peep-Show-Betriebe einzuschreiten, aufgegriffen und selbst in Fällen weiterverfolgt hat, in denen Instanzgerichte die behördlichen Maßnahmen für rechtswidrig erklärt haben. Auch die Rechtsprechung hat sich überwiegend die Wertung des Senatsurteils jedenfalls im Ergebnis zu eigen gemacht. In der juristischen und allgemeinen Presse hat das Urteil zwar vorwiegend Kritik gefunden, doch richtet sich diese in erster Linie gegen die aus Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitete Begründung. Eine sozialethische Billigung der Peep-Show läßt sich nur wenigen Stimmen entnehmen.

Von größerem Gewicht sind die Feststellungen, die das Berufungsgericht über die in der Bevölkerung herrschende Einstellung zur Peep-Show getroffen hat. Das Berufungsurteil führt hierzu sinngemäß aus: Peep-Show-Betriebe wirkten auf den Durchschnittsbeurteiler abstoßend und würden als „etwas Anrüchiges und sittlich-moralisch Zweifelhaftes angesehen und für den normalen Alltag abgelehnt“. Jedoch toleriere und akzeptiere die Bevölkerung derartige – sonst als sittlich oder moralisch anstößig empfundene – Erscheinungen im Rahmen eines Vergnügungsviertels wie X.. Die örtliche Lage sei insoweit für die öffentliche Meinung von Bedeutung; eine solche Differenzierung trete z.B. darin hervor, daß die Prostitution nur in bestimmten Ortsbereichen unter Strafe gestellt sei (§ 184 a StGB). Peep-Show-Veranstaltungen seien jedenfalls nicht anstößiger als das, was sonst in dem Vergnügungsviertel geduldet und von der öffentlichen Meinung akzeptierend hingenommen werde, nämlich z.B. Straßenprostitution, gewerblich betriebene „Absteigen“ und sogenannte Theatervorführungen, in denen „nahezu alles aus dem sexuellen Intimbereich unbeanstandet geboten“ werde. Der Senat versteht diese Feststellungen dahin – und hält sie in dieser Deutung auch für offenkundig richtig -, daß Peep-Show-Veranstaltungen, entsprechende Theatervorführungen und Prostitution zwar nach herrschendem Wertempfinden den guten Sitten zuwiderlaufen, von einem Großteil der Bevölkerung aber als tragbar angesehen werden, wenn sie auf bestimmte, dafür bekannte Viertel beschränkt bleiben. Dieser Befund erlaubt jedoch nicht den vom Berufungsgericht gezogenen rechtlichen Schluß, das, was die öffentliche Meinung in den betreffenden Vierteln hinnehme, verliere innerhalb dieser Bereiche auch den Makel der Sittenwidrigkeit: Die Prostitution widerspricht, wie fast ausnahmslos anerkannt wird (vgl. z.B. BVerwGE 60, 284 ; BFH, NJW 1965, 79 ; BGHZ 67, 119 , bestätigt durch BGH, JR 1988, 125 ; BayVerfGH, NJW 1983, 2188 ; zweifelnd VGH Kassel, InfAuslR 1989, 148 ), den guten Sitten. Daß sie weithin und namentlich in Vergnügungsvierteln toleriert wird, ändert daran nichts. Insbesondere läßt sich aus der vom Berufungsgericht zitierten Vorschrift des § 184 a StGB, die für die Strafbarkeit auf bestimmte Gebiete und Tageszeiten abstellt, nicht folgern, das sozialethische Unwerturteil über die Prostitution sei von der Örtlichkeit und der Tageszeit abhängig. Ebensowenig hängt die Sittenwidrigkeit der Vorführung des Geschlechtsverkehrs auf der Bühne (vgl. BVerwGE 64, 280) davon ab, ob sich die Bühne in einem Vergnügungsviertel oder etwa in einem Wohngebiet befindet. Für die Vermarktung der Sexualität in der Form der Peep-Show kann nichts anderes gelten: Wird, wie sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt, eine solche gewerbsmäßige Schaustellung inhaltlich überwiegend als anstößig empfunden, so entfällt dieses negative Urteil über den – nach § 33 a Abs. 2 Nr. 2 GewO maßgeblichen – I n h a l t der Schaustellung nicht deswegen, weil sie in einer durch ähnliche Erscheinungen geprägten Umgebung stattfindet. Eine Bestätigung hierfür liegt in der Angabe der vom Berufungsgericht vernommenen Peep-Show-Darstellerin, sie und ihre Kolleginnen wünschten nicht, daß ihre Tätigkeit bekannt werde.

Die Bewertung von Peep-Show-Veranstaltungen als sittenwidrig steht im Einklang mit der vorherrschenden sozialethischen Beurteilung ähnlicher Vorgänge. Zu Unrecht beruft sich das Oberverwaltungsgericht für seine Auffassung, Peep-Show-Veranstaltungen im Vergnügungsmilieu verstießen nicht gegen die guten Sitten, auf die Entscheidung des Senats, wonach die öffentliche Vorführung pornographischer Filme nicht ohne weiteres sittenwidrig ist (BVerwGE 71, 34). Das Berufungsgericht übersieht, daß zwischen der Vorführung eines Films und der unmittelbaren Schaustellung von Personen ein erheblicher Unterschied besteht und daß überdies die Peep-Show durch das System der Einzelkabinen gekennzeichnet ist. Hierdurch hebt sie sich auch von Striptease- Darbietungen ab, die, soweit sie dem herkömmlichen Bild entsprechen, als nicht sittenwidrig angesehen werden (BVerwGE 71, 29). Anders als der herkömmliche Striptease hat die Peep-Show aber Gemeinsamkeiten mit der als sittenwidrig geltenden Prostitution. Für das Unwerturteil über die Prostitution ist maßgeblich, daß in entwürdigender Weise der Intimbereich zur Ware gemacht und der Sexualtrieb gewerblich ausgebeutet wird (BGHZ 67, 119 ). Bei der Peep-Show liegt es ähnlich (vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1988, 640 ): Im Peep-Show-Betrieb organisiert der Veranstalter gewerbsmäßig die Schaustellung von Frauen, deren Aufgabe darin besteht, durch sexuell aufreizendes Posieren den in Kabinen einschließlich sogenannter Soloboxen befindlichen Kunden die Selbstbefriedigung zu ermöglichen. Dies ist nach den Feststellungen des Berufungsurteils nicht zweifelhaft. Das Berufungsgericht meint zwar, das Verhalten der Kunden in der Abgeschiedenheit ihrer Kabine sei für die sozialethische Bewertung unerheblich. Indessen kann bei der Beurteilung gewerbsmäßiger Schaustellungen unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit nicht von der beabsichtigten, hier durch das System der Einzelkabinen ermöglichten Wirkung auf das Publikum abgesehen werden. Die angestrebte sexuell stimulierende Wirkung bestimmt die Bewertung der Schaustellung selbst. Sind demgemäß Peep-Show-Veranstaltungen sittenwidrig und damit nicht erlaubnisfähig, so steht dies übrigens nicht, wie gelegentlich behauptet wird, im Widerspruch zur Behandlung des – schwerwiegenderen – Phänomens der Prostitution. Auch die gewerbsmäßige Förderung der Prostitution in einem darauf gerichteten Betrieb wird von der Rechtsordnung nicht gebilligt, sie ist vielmehr nach § 180 a Abs. 1 StGB sogar mit Strafe bedroht.

2. Die angefochtenen Bescheide sind ferner insoweit rechtmäßig, als sie der Klägerin aufgeben, ihren Peep-Show-Betrieb einzustellen. Die Einstellungsverfügung ist durch § 15 Abs. 2 GewO gedeckt; danach kann die Behörde die Fortsetzung eines Gewerbebetriebs verhindern, wenn er ohne die erforderliche Erlaubnis betrieben wird. Diese Voraussetzung ist wegen der Nichtigkeit der erteilten Erlaubnisse erfüllt. Die Behörde hat auch von ihrem Ermessen ohne Rechtsfehler Gebrauch gemacht. Sie hat nicht die s o f o r t i g e Betriebsschließung verlangt und damit dem Vertrauensschutzgedanken Rechnung getragen. Ihre Feststellung, es gebe kein milderes Mittel, dem sittenwidrigen Gewerbe der Klägerin zu begegnen, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Unzutreffend ist die Ansicht des Berufungsgerichts, die Behörde hätte durch Auflagen – „vom Fortfall des Klappenmechanismus und des Münzautomaten bis hin zur Einsichtigkeit der Kundenkabinen“ – einen erlaubnisfähigen Betrieb sicherstellen können. Nach dem oben Ausgeführten wäre der Betrieb der Klägerin auch dann sittenwidrig, wenn von allen Kabinen – wie es bei der „Solobox“ ohnehin der Fall ist – Klappenmechanismus und Münzautomat entfernt würden. Ob eine andere Beurteilung geboten wäre, wenn die Kabinen in vollem Umfang einsehbar wären, kann offenbleiben. Die nicht voll einsehbaren Kabinen sind ein wesentliches Element der Peep-Show-Betriebe; die Kabinen sollen die Zuschauer zumindest teilweise den Blicken anderer entziehen. Volle Einsehbarkeit der Kabinen käme daher ihrer Abschaffung gleich. Eine derart einschneidende Veränderung stellte kein gegenüber der Betriebseinstellung milderes Mittel dar, sondern führte zu einer Schaustellung anderer Art. Sie müßte deswegen auf entsprechenden Antrag zunächst in einem neuen Erlaubnisverfahren geprüft werden. Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Beklagte zwar Peep-Show-Veranstaltungen unterbinden, entgegen dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) aber andere Gewerbebetriebe, die gleichfalls wegen Sittenwidrigkeit nicht erlaubnisfähig sind, schonen wolle. Im Gegenteil: Nach den Feststellungen des Berufungsurteils hat die Beklagte nicht nur Maßnahmen gegen Peep-Show-Veranstaltungen ergriffen, sondern ist – und zwar unter Anordnung des Sofortvollzugs – z.B. auch gegen die Förderung der Prostitution in einem solchen Betrieb eingeschritten.